Warum eine Sondernummer
für Peter Singer?

von Georg Batz (Nürnberg)

 

Diese 1. Sondernummer der Zeitschrift "Aufklärung und Kritik" verdankt ihre Entstehung und weitestgehende Ausgestaltung Edgar Dahl, einem großen Talent der deutschsprachigen Philosophenszene der Gegenwart, die nicht gerade reich an Denkern der kritischen Vernunft, der Aufklärung und des säkularen Humanismus ist. In seinem im Carlsen-Verlag erschienenen Sammelband "Die Lehre des Unheils - Fundamentalkritik am Christentum" ist es ihm gelungen, einen großen Teil der zeitgenössischen Aufklärer zueinanderzubringen. Die Beiträge dieser Sondernummer von "Aufklärung und Kritik" ergänzen Edgar Dahls Sammelband und schreiben ihn fort. Es sind Aufsätze, die hauptsächlich Problemen der medizinischen Ethik gewidmet sind, oder die sich mit dem australisch-humanistischen Philosophen Peter Singer auseinandersetzen. Prof. Peter Singer wurde von gewissen fundamentalistischen Kreisen in den deutschsprachigen Ländern als eine Art Personifikation des Bösen schlechthin aufgebaut. Gegen ihn ist eine Verleumdungskampagne angelaufen, die der Hetz- und Mordkampagne gegen Salman Rusdie, Taslima Nasrin und anderen fortschrittlichen Autoren in islamischen Ländern in nichts nachsteht, wo sie von menschenverachtenden Fanatikern mit dem Tode bedroht werden. Der Fall "Peter Singer" hat gezeigt, daß der christliche und linksalternative Fanatismus und Faschismus um nichts weniger gefährlich ist als sein islamisches Pendant. Auch sie arbeiten mit Drohungen, mit tätlichen Attacken gegen Leben und Gesundheit von Menschen, versuchen zu erpressen, einzuschüchtern und, wenn dies nicht gelingt, ihre Opfer auf andere Art und Weise aus dem Wege zu räumen. Sie lügen und beschimpfen mit den unflätigsten Begriffen und haben eine Inflationierung des Faschismusbegriffs in Gang gebracht, wo selbst eigenverantwortliche Entscheidung über Leben und Tod angesichts eines qualvollen Endes, der humanste Einsatz für Selbstbestimmung und menschenwürdiges Sterben, als "faschistisch" diffamiert werden kann. Welch eine Verharmlosung der wirklichen Vorgänge unter dem Nationalsozialismus damit betrieben wird, machen sie sich dabei offenbar nicht klar.

Das schlimmste aber ist, daß diese linken Demagogen zusammen mit konservativen (sprich illiberalen) Lebensschützern und klerikalen Fanatikern und Reaktionären gemeinsame Sache machen, daß sie das Klima der Diskussion vergiftet, Hysterie und Haß gesät und eine Lynchstimmung zur festen Institution gemacht haben, wie man sie in einem scheinbar so freien Land nicht mehr für möglich gehalten hätte. Die Methoden der SA und SS, der Streicher und Goebbels, haben unter der Maske eines verlogenen Pseudo-Antifaschismus längst wieder Auferstehung gehalten. Ein Amoklauf von "Political Correctness" hat die ganze öffentliche Meinung der Bundesrepublik erfaßt, wie sie in angelsächsischen Ländern undenkbar wäre. Nicht nur Peter Singer selbst und befreundete Kollegen wie Helga Kuhse werden in der allgemeinen Schlammschlacht der Anti-Singer-Hysteriker und Fanatiker mit den übelsten Methoden verleumdet, sondern selbst alle diejenigen, die seine Thesen nur diskutieren wollen, selbst wenn sie sie aus vorgetragenen Gründen ablehnen. Die Singer-Gegner bestimmen inzwischen in allen öffentlichen Medien, Verlagen, der Presse usw., was diskutiert werden darf und was nicht, wer Rederecht bekommt und wer nicht. Daß sich ach so progressive Linke und Alternative mit reaktionären Spießern und mittelalterlichen Moralaposteln wie dem Fuldaer Erzbischof Dyba oder dem niederösterreichischen Bischof Krenn, ja sogar mit Jörg Heider im gleichen Boot befinden, scheint sie offensichtlich überhaupt nicht zu stören: "Tut nichts, der Jude wird verbrannt" heißt es schon in Lessings "Nathan, dem Weisen", wobei man es hier ja sogar mit einem "jüdischen Faschisten" zu tun zu haben vermeint, der alle arisch-christlichen Behinderten sozusagen der Endlösung zuführen will. Nicht vor den schäbigsten Argumenten schrecken die Singer-Gegner zurück. Doch nicht minder schlimm wie die aktiven Singer-Gegner mit ihren demagogischen Lügen sind all die Mitläufer und Gleichgültigen, die Feiglinge, die es eigentlich besser wissen, aber nicht den Mumm und die Zivilcourage aufbringen, gegen die Wahnvorstellungen ihrer politischen Glaubensgenossen vorzugehen, weil sie dann befürchten müßten, vielleicht selbst an ihrem "progressiven" Image zu verlieren oder sich gar selbst als "Faschist" ausgesetzt zu sehen. Wer ein Unrecht nicht verhindert, wird genauso schuldig. Wer zu einer Lüge wissentlich schweigt, aus politischer Rücksichtnahme oder schlichtem Opportunismus, ist moralisch nicht besser als die, die aktiv sich an der Hetz-Kampagne beteiligen. Sie treten die Geistesfreiheit genauso mit Füßen, sie stehen Schmiere für einen Terror gegen Andersdenkende, wie ihn dieses Land seit Goebbels und Streicher tatsächlich nicht mehr erlebt hat. Die Inquisition und das Mittelalter sind längst zurückgekehrt, insofern kann man wahrscheinlich zu Recht davon sprechen, daß die Aufklärung nach über 200 Jahren in Deutschland gescheitert ist. Die Freiheit des Geistes zu verteidigen, kann dabei nicht nur für die Gleichgesinnten gelten. Daß man deren geistige Freiheit verteidigt, scheint wohl selbstverständlich zu sein. Moralisch relevant wird dieses Prinzip erst so richtig, wenn es um die Freiheit der Andersdenkenden geht (von Voltaire bis Rosa Luxemburg war dies ein Grundsatz, den kein Aufklärer anzweifelte). Daß auch der derjenige seine Meinung äußern darf, dessen Einstellung man nicht teilt, daß man sie achtet, wenn es sich um eine ehrliche Überzeugung handelt und daß man immer bedenken sollte, daß der andere recht haben kann und sich bestimmt etwas dabei gedacht hat, wie er Zweifel abwog und seinen Standpunkt schließlich einnahm. Seit Popper tot ist, haben selbst manche seiner Anhänger diese grundlegenden kritisch-rationalen Grundsätze verraten und stimmen in den allgemeinen Chor der Verbots- und Gesinnungs-Justiz ein, die man mit dem Ende des Feudalzeitalters für immer überwunden glaubte. Ziel des Sonderheftes soll es also sein, daß Peter Singer und alle anderen weltweit von deutschen Fanatikern diffamierten Humanisten und Aufklärer sehen, daß es in den deutschsprachigen Ländern auch noch andere Stimmen gibt, daß nicht alle dem Wahn der Gegenaufklärung verfallen sind und ihren Glauben an den Menschen und an die Freiheit des Geistes bewahrt haben. Und daß es in Deutschland Leute gibt, die sich schämen, daß das öffentliche Klima in ihrem Land moralisch schon wieder so verkommen ist, daß Engagement für die Freiheit des Geistes als Ketzerei gilt.




Aufklärung und Kritik  


Sonderheft Nr. 1 / 1995

Schwerpunkt "Peter Singer"

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Inhaltsverzeichnis:


Georg Batz:
Einleitung - Warum eine Sondernummer für Peter Singer?

Dieter Birnbacher:
Mehrdeutigkeiten im Begriff der Menschenwürde

Michael Hauskeller:
"I prefer not to - Tötungsverbot und Personbegriff in der Ethik Peter Singers

Norbert Hoerster:
Ethische Überlegungen zur Sterbehilfe

Helmut F. Kaplan:
Müssen Behinderte vor Tierrechtlern Angst haben?

Helmut F. Kaplan:
Euthanasie und Emotion. Warum Peter Singers Thesen die Gemüter erhitzen

Helmut F. Kaplan:
Menschenrechte für Affen?
Eine "Deklaration über die Großen Menschenaffen" sorgt für Aufregung

Helga Kuhse:
Kirche und Abtreibung. Eine Unterhaltung mit Gott

Reinhard Merkel:
Ärztliche Entscheidungen über Leben und Tod in der Perinatalmedizin.
Ethische und rechtliche Probleme

Klaus Peter Rippe:
Weder Fisch noch Fleisch? Ethik, Massentierhaltung und das Verzehren von Fleisch

Klaus Peter Rippe:
Nicht das Buch ist der Skandal

Justine Schuchardt:
Erst, wenn der Konflikt anerkannt wird, kann eine bewußte Entscheidung erfolgen.
Rezension von "Muß dieses Kind am Leben bleiben?" (Peter Singer/Helga Kuhse)
und "Die Heiligkeit des Lebens in der Medizin" (Helga Kuhse)

Peter Singer:
Je mehr wir für andere leben, desto zufriedener leben wir

Peter Singer:
Die Ethik der Embryonenforschung

Gerhard Streminger:
Christlicher Glaube und Kritische Vernunft

Jean-Claude Wolf:
Todesstrafe und Religion




Herausgeber und Verlag:
Gesellschaft für Kritische Philosophie (GKP) Nürnberg.
Bearbeitung für das Internet: Helmut Walther (Januar 1997)




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