Michael Schmidt-Salomon

Das Feuerbach-Syndrom

Warum Religionskritik in der Wissenschaft noch immer ein Tabuthema ist

In: Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) 2004, Heft 2, S. 3-12  © MSS www.schmidt-salomon.de

“Religionskritik gefährdet Ihre wissenschaftliche Karriere!” – Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die EU-Bildungsminister beschließen werden, religionskritische Bücher (analog zu den einprägsamen Horrorszenarien auf Zigarettenpackungen) mit einem derartigen Warnhinweis zu verzieren, so ist der Zusammenhang doch offensichtlich, wie nicht nur die Lebensgeschichte Ludwig Feuerbachs belegt. Zwar haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert, die ideologische Abspaltung der Religionskritik von der Wissenschaft wurde jedoch längst nicht aufgehoben. Dabei sollte heute eigentlich jedem ernsthaft wissenschaftlich Denkenden bewusst sein: Ebenso wie seriöse Religionskritik nur noch auf wissenschaftlicher Basis formuliert werden kann, so wird auch die traditionelle Wissenschaft zunehmend erkennen müssen, dass sie selbst offensiv religionskritische Inhalte produzieren muss, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Vor einiger Zeit machte mir ein hervorragender Kenner des Werks Feuerbachs ein großes (und zweifellos freundlich übertriebenes) Kompliment, das zugleich eine ernsthafte Warnung enthielt: “Herr Salomon”, sagte er, “ich sehe in Ihnen ‘den Feuerbach unserer Zeit’ – eine Unikarriere werden Sie sich also mit allergrößter Wahrscheinlichkeit abschminken müssen…” Ich wusste damals nicht so recht, ob ich mich über den schmeichelhaften ersten Teil des Satzes freuen oder über die ungeschminkte Wahrheit des zweiten Teils empören sollte. Gewiss: Es war nicht das erste Mal, dass man mir riet, zurückhaltender mit religionskritischen Äußerungen zu sein. “Der kluge Wissenschaftler veröffentlicht religionskritische Schriften, wenn überhaupt, erst kurz vor der Emeritierung!”, hieß es immer wieder. Ich hatte derartige Ratschläge meist achselzuckend abgetan, der erneute Hinweis aber drängte mich doch dazu, die dahinter stehenden Zusammenhänge etwas genauer zu beleuchten. Dabei stieß ich auf ein Phänomen, das ich (als kleine Reminiszenz an das oben angeführte, zweischneidige Kompliment) als “Feuerbach-Syndrom” beschreiben möchte.

 

Religionskritik und wissenschaftliches Establishment

Dass Ludwig Feuerbach auf eine universitäre Karriere verzichten musste, weil er sich allzu deutlich als Religionskritiker hervorgetan hatte, ist kaum zu bezweifeln. Aus gutem Grund ließ er sein frühes, religionskritisches Werk “Gedanken über Tod und Unsterblichkeit” 1830 anonym veröffentlichen. Als der Obrigkeit bekannt wurde, dass Feuerbach der Urheber des Werks war (wegen seines Angriffs auf den Unsterblichkeitsglauben wurde es sogar kurzzeitig verboten), waren die Würfel im Hinblick auf eine universitäre Karriere natürlich gefallen. Mit einem solchen Mann konnte man (zumal in Bayern!) selbstverständlich keine Professorenstelle besetzen, sämtliche Bewerbungen Feuerbachs wurden abgelehnt. 1

Da Feuerbach die akademische Laufbahn nicht einschlagen konnte, musste er notgedrungen von seiner schriftstellerischen Tätigkeit und der kleinen Rente seines Vaters leben. Nachdem die Porzellanfabrik, die der Familie seiner Frau gehörte, in Bruckberg 1859 Bankrott erklären musste, war der verarmte Feuerbach auf die Unterstützung durch Freunde angewiesen, um die finanzielle Notsituationen halbwegs abzufedern. Dass sein Kopf rund 150 Jahre später auf einer Briefmarke erscheinen würde 2, hätte sich der gute Feuerbach wohl kaum träumen lassen. Falls doch, hätte er die posthume Ehrung wahrscheinlich gerne gegen eine kleine, prämortale Rente eingetauscht…

Natürlich war Feuerbach kein Einzelfall. Dass Religionskritik mit schwerwiegenden Einbußen verbunden sein kann, mussten schon seine Vorgänger leidvoll erfahren. Giordano Bruno beispielsweise hatte es Jahrhunderte zuvor weit übler getroffen als Feuerbach. Stets auf der Flucht vor dem langen Arm der Kirche musste sich der ehemalige Dominikanermönch als Hauslehrer und Gedächtniskünstler verdingen, bevor er am Ende doch in die Hände der Inquisitoren geriet und nach siebenjähriger Haft im Jahr 1600 auf dem Campo de’ Fiori verbrannt wurde. 3

Julien Offray de La Mettrie, der von dem Establishment seiner Zeit (selbst von den sog. “Aufklärern”!) nicht weniger scharf angegriffen wurde,4 fand zwar dank seiner medizinischen Qualitäten und seines humorvollen Wesens zeitweilig Asyl im Hofstaat Friedrichs II. Aber auch Friedrichs sprichwörtliche Toleranz hatte in seinem Fall deutliche Grenzen: La Mettries Werke wurden nicht nur zensiert, wahrscheinlich wurde seinem Leben durch eine vergiftete Pastete frühzeitig ein unschönes Ende bereitet.

Spinoza hingegen kam mit “einem blauen Auge” davon. Ihn traf zwar der Bannfluch der jüdischen Gemeinde (auch war er in gebildeten christlichen Kreisen über Jahrhunderte hinweg als “besonders infamer Atheist” berühmt-berüchtigt), aber dank seiner Fähigkeit zur Herstellung optischer Linsen konnte er sich immerhin bescheiden über Wasser halten, ja, er scheint sogar mehr oder weniger zufrieden im Verborgenen gelebt zu haben. Dennoch: Eine Professur für den “größten niederländischen Philosophen aller Zeiten” wäre ohne Zweifel ein Ding der Unmöglichkeit gewesen…5

Wir sehen: Das Prinzip der sozialen Ab-schreckung, der Versuch, Religionskritik durch die Ankündigung sozialer Kosten bereits im Ansatz zu unterbinden, jenes Phänomen, welches ich hier mit dem Begriff “Feuerbach-Syndrom” umschreiben möchte, existierte schon mehrere Jahrhunderte, bevor der namensgebende fränkische Philosoph überhaupt geboren wurde.

Doch blicken wir nicht bloß zurück! Spannender ist allemal die Frage, ob ein solcher Abschreckungseffekt auch heute noch beobachtet werden kann. Ich gebe zu: Mit einigem Recht könnte man behaupten, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse mittlerweile grundlegend geändert hätten und der Einfluss der institutionellen Religionen auf den akademischen Betrieb (freilich mit Ausnahme der Theologischen Fakultäten!) nur noch marginal sei. So richtig dieser Hinweis auch ist (selbstverständlich muss – zumindest in unseren Breitengraden! – kein Religionskritiker mehr befürchten, das Schicksal Brunos zu teilen), er vermag nicht zu erklären, warum sich heutige Wissenschaftler in Bezug auf Religion so auffällig unauffällig verhalten. Woran also liegt es, dass auch heute noch die besten religionskritischen Arbeiten von akademischen Außenseitern bzw. von Professoren kurz vor ihrer Emeritierung vorgelegt werden?

Konkret: Warum musste die Kriminalgeschichte des Christentums 6 von einem “Einzelkämpfer” wie Karlheinz Deschner geschrieben werden, einem Mann, der trotz aller Auszeichnungen und Ehrbezeugungen niemals auch nur den Hauch einer Chance auf eine Professorenstelle hatte? Was haben die etablierten akademischen Disziplinen (Religionswissenschaft, Geschichtswissenschaft etc.) im Gegenzug an Vergleichbarem hervorgebracht? Warum wurde die treffendste aktuelle Analyse der katholischen Dogmatik von einem Anonymus (“Theo Logisch”) vorgelegt?7 Weshalb fand Franz Buggles brillante Studie über die psychischen Folgekosten des Christentums 8 in der akademischen Psychologie (aber auch in der Pädagogik!) so wenig Beachtung? Warum ignorierte die ökonomische Disziplin so hartnäckig den Themenkomplex “Vermögen und Finanzen der Kirchen” (immerhin: mit ihren aufgeblähten Wohlfahrtsverbänden die größten nichtstaatlichen Arbeitgeber Europas!), so dass wiederum ein außeruniversitärer Experte, nämlich Carsten Frerk, das Thema im Alleingang beackern musste? 9

Kurzum: Was sind die Gründe für die auch heute noch zu beobachtende religionskritische Zurückhaltung der etablierten Wissenschaft? Ist Religionskritik etwa – wie man vermuten könnte – per se “unwissenschaftlich”? Oder trifft vielleicht das Gegenteil zu? Nehmen Religionskritiker die wissenschaftliche Erkenntnismethode möglicherweise ernster, als es den Vertretern des wissenschaftlichen Establishments gemeinhin lieb ist?

 

Der “Nichtangriffspakt” zwischen Religion und Wissenschaft

Man wird die eigentümliche religionskritische Enthaltsamkeit der Wissenschaft kaum verstehen können, wenn man sich nicht die historischen Rahmenbedingungen vergegenwärtigt, die am Anfang des wissenschaftlichen Emanzipationsprozesses vorherrschten. Über Jahrhunderte hinweg hatte die Theologie als unanfechtbare Leitdisziplin gegolten. Wissenschaftliche Hypothesen, ja sogar empirische Erkenntnisse, die der herrschenden theologischen Lehrmeinung widersprachen, galten per definitionem als “falsch” oder “häretisch”. Erst allmählich, etwa beginnend mit dem 17. Jahrhundert, konnte sich die empirisch forschende Wissenschaft langsam aus der einengenden religiösen Umklammerung befreien.

Aus wissenschaftlicher Sicht hatte dieses entscheidende Jahrhundert noch tragisch begonnen: mit Brunos Tod auf dem Scheiterhaufen und dem wenig später in Gang gesetzten Prozess gegen Galilei. Doch schon bald wurde deutlich, dass der wissenschaftliche Fortschritt auch durch solch vehemente Machtdemonstrationen nicht aufzuhalten war. Anstatt die wissenschaftliche Forschung, auf die man im Hinblick auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsmittel angewiesen war, im Keim zu ersticken, entwickelten die mit religiöser Schützenhilfe herrschenden Kräfte eine neue Strategie. Sie bestand darin, das Terrain, auf dem mehr oder weniger frei geforscht werden konnte, genau abzustecken.

Auf diese Weise kam es zu einer Art “Nichtangriffspakt” zwischen Wissenschaft und Religion. Die Wissenschaft wurde normativ neutralisiert (die historische Wurzel des sog. “Wertfreiheitspostulats”) und (als Grundbedingung für ihre Institutionalisierung) mit Nachdruck darauf verpflichtet, sich keinesfalls auf politischem oder religiösem Gebiet zu betätigen. So hieß es paradigmatisch in den Statuten der Royal Society von 1633: “Gegenstand und Ziel der Royal Society ist es, Kenntnisse von natürlichen Dingen, von nützlichen Künsten, Produktionsweisen, mechanischen Praktiken, Maschinen und Erfindungen durch Experimente zu verbessern – ohne sich in Theologie, Metaphysik, Moral, Politik, Grammatik, Rhetorik oder Logik einzumischen.”10

Mithilfe dieser “unfreiwilligen Selbstkontrolle” der Forschung wurde die Religionskritik aus dem Geltungsbereich der empirischen Wissenschaften ausgeschlossen, was zur Folge hatte, dass religionskritische Äußerungen fortan mit dem Makel der “Unwissenschaftlichkeit” behaftet waren. Nach dem Motto “Schuster, bleib bei deinen Leisten!” sollten sich die Wissenschaftler nur um die “kleinen, irdischen Wahrheiten” kümmern, während die sog. “höheren Wahrheiten” den Religionen vorbehalten blieben. Daran konnten auch die vielfältigen Beiträge zu einer philosophisch fundierten Religionskritik im 18. und 19. Jahrhundert (beispielsweise die durch Feuerbach ausgelöste “anthropologische Wende”) nichts ändern. Die von Außen auferlegte Selbstbeschränkung der Wissenschaft in Bezug auf die Wahrheitsansprüche der Religionen blieb nicht nur bestehen, sie wurde sogar zu einem integralen Bestandteil des Selbstverständnisses jener Disziplin, von der man naiver Weise eigentlich erwarten würde, dass sie die Wahrheitsansprüche der Religionen mithilfe einer ausgefeilten kritisch-wissenschaftlichen Methodik hinterfragt: der Religionswissenschaft.

 

Religionswissenschaft und die peinliche Frage nach der Wahrheit

Die Geschichte der Religionswissenschaft als eigenständige akademische Disziplin begann in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts. 1873 wurden die ersten religionswissenschaftlichen Lehrstühle in Genf und Boston eingerichtet. Bald darauf entstanden Lehrstühle auch in den Niederlanden, sowie in Frankreich, Italien und Skandinavien. In Deutschland dauerte es noch bis 1910, bis der erste Lehrstuhl für Religionswissenschaft besetzt werden konnte.11

Vor allem in Deutschland fiel es der jungen Disziplin schwer, sich von der in Bezug auf Lehrstühle und Ausstattung übermächtigen Theologie zu emanzipieren. Eine echte Emanzipation war schon allein deshalb kaum möglich, weil die Religionswissenschaft oftmals institutionell in die Theologischen Fakultäten eingebettet war. Erst in den letzten Jahren gelang zunehmend der Absprung in die säkularen “Kulturwissenschaften”, so dass heute endlich die Mehrheit der religionswissenschaftlichen Lehrstühle außerhalb der amtskirchlich kontrollierten Fakultäten angesiedelt ist.12

Im Zuge des wissenschaftlichen Selbst-reflexionsprozesses, der etwa in den 1960er Jahren einsetzte, konnten zwar einige der schlimmsten “Kinderkrankheiten” der Disziplin überwunden werden,13 der zentrale blinde Fleck der Disziplin blieb aber unangetastet, nämlich das paradigmatische, aus dem Nichtangriffspakt von Religion und Wissenschaft geborene Selbstverständnis der Religionswissenschaft, ausgerechnet die Wahrheitsansprüche der Religionen nicht in Frage stellen zu können bzw. dürfen.

So heißt es beispielsweise in der aktuellen Eigendarstellung des Fachs Religionswissenschaft an der Universität Tübingen (ähnliche Positionen ließen sich unschwer andernorts finden): “Es ist nicht Aufgabe der Religionswissenschaft, über die ‘Wahrheit’ religiöser Glaubenssätze oder die ‘Realität’ der komplettierenden, transzendenten Bezugspunkte zu urteilen. Sie konzentriert sich einerseits auf eine wertfreie Darstellung religiöser Aussagen und Deutungsmodelle, andererseits auf eine funktionale Analyse der Organisationsformen und Handlungsschemata, die Individuum und Kollektiv im Blick auf das Transzendente wählen.”14

Wie sehr die hier paradigmatisch formulierte Positionierung in Bezug auf die Wahrheitsfrage das Selbstverständnis ausgebildeter Religionswissenschaftler prägt, zeigte sich, als ich vor einiger Zeit ein Interview mit einer (in religionsfreien Kreisen durchaus geschätzten) Religionswissenschaftlerin führen wollte. Sie hatte eine umfangreiche religionswissenschaftliche Arbeit über die “Weltethoserklärung der Religionen” vorgelegt, die die komplexen Prozesse, die zur Ausformulierung dieser Erklärung führten, zweifellos historisch korrekt wiedergab. Nachdem ich eine Rezension ihres Buches geschrieben hatte, wollte ich einige Aspekte, die m.E. in der Analyse zu kurz kamen, im Rahmen eines Interviews vertiefen. Aus diesem Vorhaben wurde allerdings nichts, da sich meine Interviewpartnerin durch die von mir vorgelegten Fragen merkwürdigerweise “verletzt” und “in die theologische Ecke” gedrängt fühlte. Als Religionswissenschaftlerin könne sie “auf solch unseriöse Fragen nicht antworten”.

Was war der Stein des Anstoßes gewesen? Natürlich die Wahrheitsfrage. Ich hatte formuliert, dass die vornehmlich von Hans Küng15 vorangetriebenen Diskussionen um ein interreligiöses “Weltethos” für einen humanistisch und wissenschaftlich denkenden Menschen Chance und Zumutung zugleich darstellen würden. Selbstverständlich würde jeder Humanist es begrüßen, wenn es den Religionen wider Erwarten tatsächlich gelänge, sich auf eine friedliche Koexistenz zu einigen. Aber man würde doch kaum den dafür verlangten Preis zahlen wollen, nämlich die Aufgabe eines in sich stimmigen Wahrheitsbegriffes. Für einen wissenschaftlich denkenden Menschen gelte eine Aussage bekanntlich nur solange als wahr, solange sie logischer und empirischer Überprüfung standhielte.16 In diesem Test aber würden die religiösen Heilserzählungen hoffnungslos versagen, so dass es für einen wissenschaftlich denkenden Menschen kaum noch möglich sei, den Begriff der Wahrheit positiv auf Religionen anzuwenden.

Mit diesen Worten schilderte ich die Zwickmühle, die ich als wissenschaftstheoretisch geschulter Religionskritiker beim Lesen der “Weltethoserklärung des Parlaments der Religionen” empfunden hatte: Sollten wir wirklich um des lieben Friedens willen die Wahrheitsansprüche der Religionen gewähren lassen, obwohl wir diese über weite Teile schon längst widerlegt hatten? In diesem Zusammenhang erlaubte ich mir dann jene Fragen, die von meiner religionswissenschaftlich sozialisierten Interviewpartnerin als “Zumutung” empfunden wurden und die letztlich auch dazu führten, dass das verabredete Interview gar nicht erst zustande kam. Hier die kritische Stelle im Originalwortlaut: “Haben Sie selbst, als Religionswissenschaftlerin und Weltethos-Expertin, diese Spannung zwischen den Ansprüchen der Wahrheit und der Diplomatie hin und wieder empfunden? Und wenn nicht: Welchen Begriff von Wahrheit haben Sie sich zurechtgelegt, so dass Sie die aus aufklärerischer Sicht unhaltbaren Positionen des Dalai Lama oder der katholischen Kirche als “Wahrheiten” durchgehen lassen können? Ist etwas schon allein deshalb wahr, weil eine ausreichende Menge von Menschen daran glaubt?”

Vergegenwärtigt man sich das oben angedeutete paradigmatische Selbstverständnis der Religionswissenschaft, das sich ja gerade aus dem Ausblenden der Wahrheitsfrage speist, wird nur allzu verständlich, warum meine Interviewpartnerin diese Fragen als “unseriös” und “wissenschaftlich nicht beantwortbar” empfand. Das missglückte Interview deutete auf ein grundlegendes Kommunikationsproblem zwischen Religionskritik und Religionswissenschaft hin. Offensichtlich bestanden hier zwei völlig unterschiedliche Begriffe von Wissenschaft. Die Frage, die sich mir unweigerlich stellte, war, ob eine akademische Disziplin, die sich als Wissenschaft versteht (und wissenschaftliches Handeln bedeutet per definitionem, wahre Aussagen von falschen zu unterscheiden!) allen Ernstes ausgerechnet die Frage nach den Wahrheitsansprüchen des Untersuchungsgegenstands (Religion) aus dem Forschungskanon verbannen kann. War diese so seltsam anmutende Selbstbeschränkung allein auf die widrigen Rahmenbedingungen der Religionswissenschaft zurückzuführen, oder hatte die Disziplin bessere, weil innerwissenschaftliche Argumente zu ihrer Verteidigung vorzubringen?

 

Wissenschaftstheoretische Hintergründe

Im Zuge meiner Beschäftigung mit der religionswissenschaftlichen Literatur stellte sich heraus, dass in diesem Zusammenhang immer wieder gerne Max Weber herbeizitiert wird, der mit wohlüberlegten Argumenten gegen Werturteilsaussagen in der Sozialwissenschaft plädiert hatte. Allerdings: Weber hatte (siehe sein berühmtes Diktum “Eine empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann und – unter Umständen – was er will17) keineswegs Seinsaussagen (also Beschreibungen der Wirklichkeit, ergo: die Wahrheitsfrage) im Blick, sein Plädoyer für weltanschauliche Enthaltsamkeit beschränkte sich allein auf Sollenssätze (d.h. auf den Bereich präskriptiver Aussagen in Ethik und Politik).

Noch abenteuerlicher als die Vereinnahmung Webers für die Ausblendung der religionskritisch aufgeladenen Wahrheitsfrage erschien mir der religionswissenschaftliche Rekurs auf den Kritischen Rationalismus, hatten doch maßgebliche Vertreter dieser Denkrichtung, vor allem Hans Albert, in vielen Schriften deutlich gemacht, dass gerade auf der Grundlage dieser Wissenschaftstheorie die kritische Infragestellung religiöser Wahrheitsansprüche nicht nur möglich, sondern eigentlich unumgänglich ist.18

Anschlussfähig an kritisch-rationalistische Denkmuster wirkte allenfalls jener “methodische Agnostizismus”, den die moderne Religionswissenschaft als Forschungsprämisse eingeführt hat und mit deren Hilfe es ihr gelang, sich wirksam gegenüber der stets “glaubensbereiten” und damit schon im Kern unwissenschaftlich agierenden Theologie abzugrenzen. Allerdings ist dieser “methodische Agnostizismus”, also das Wissen um die prinzipielle Beschränktheit und Unsicherheit unseres Wissen, keinesfalls eine Spezialität der Religionswissenschaft, sondern integraler Bestandteil jedes modernen wissenschaftlichen Denkens!

Wissenschaft beruht bekanntlich weder auf unantastbaren, ewigen (gnostischen) Wahrheiten, noch hat sie das Bestreben, solche “Wahrheiten” zu vermitteln. Wissenschaft ist per definitionem ergebnisoffen, zudem geht jeder Wissenschaftler, der sich auch nur rudimentär mit erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fragen beschäftigt hat, heute von der agnostischen Perspektive aus, dass wir keinen Einblick in die “Welt an sich” haben, d.h. in die Realität jenseits unserer Wahrnehmung.

Das alles aber – und das ist der entscheidende Punkt! – hindert Wissenschaftler (außerhalb der Religionswissenschaft) nicht daran, zwischen wahren und falschen Aussagen “für uns” zu unterscheiden. Unter Berücksichtigung des “methodischen Agnostizismus”, d.h. aus der bewusst begrenzten Perspektive aufrecht gehender Primaten, die im Laufe ihrer Entwicklungen die Vorteile von Logik und Empirie erkannt haben, ist es durchaus möglich, valide (allerdings nur vorläufig gültige) Urteile über Wahrheitsansprüche jedweder Couleur abzugeben! Wäre dies nicht so, könnten wir prinzipiell keine Wissenschaft betreiben!

Angewendet auf die Religionswissenschaft bedeutet dies: Der “methodische Agnostizismus” kann keineswegs einen Hinderungsgrund dafür darstellen, dass die Wahrheitsansprüche der Religionen auf der Basis von Logik und Empirie überprüft werden! (Bekanntlich hat genau diese Überprüfung ja auch schon auf vielen Gebieten stattgefunden: So sind Schöpfungsmythos und Kreationismus evolutionsbiologisch wie paläontologisch, der “göttliche Heilsplan” kosmologisch, die Auferstehungsglaube neurobiologisch und physikalisch, die biblische Geschichtsschreibung historisch und archäologisch widerlegt worden usw.)

Es mag aus der einseitig beschränkten Perspektive des (Religions-) Soziologen noch halbwegs verständlich sein, wenn Hubert Knoblauch in seiner lesenswerten Einführung in die “Religionssoziologie” schreibt: “für uns spielt nicht die unklärbare [sic!] Frage eine Rolle, ob das, was die Menschen glauben, wirklich ist…”19 Für ein Fach jedoch, das dem eigenen Anspruch zufolge die religiösen Erscheinungen in ihrer Gänze (!) zum Gegenstand hat, ist dieses Statement ein intellektuelles Armutszeugnis, das mit der fatalen Aufspaltung der Wissenschaft in voneinander abgesonderte Teildisziplinen oder den Abgrenzungsproblemen der Religionswissenschaft vielleicht zu erklären, aber keineswegs zu rechtfertigen ist.

Geradezu grotesk wird Knoblauchs Position dadurch, dass er die Religionswissenschaft nicht nur als Erbin der Religionskritik ausweist, sondern sogar behauptet, mit dem Entstehen der Religionswissenschaft sei die Religionskritik zu einem Abschluss gekommen.20 Wäre dem wirklich so, gäbe es in Anbetracht der “Wahrheitsbeißhemmung” der Religionswissenschaft keine Instanz mehr, die die überkommenen Wahrheitsansprüche der Religionen in Frage stellen würde. Glücklicherweise, wir wissen es, irren Knoblauch und Kollegen aber gewaltig, wenn sie den Abgesang auf die Religionskritik anstimmen. Religionskritik ist keineswegs ein Relikt des 19. Jahrhundert. Im Gegenteil! Sie ist in der Gegenwart virulent, wie selten zuvor.

 

Wissen statt Glauben: Die Renaissance der Religionskritik und die Überwindung des Feuerbach-Syndroms

Zweifellos hängt der aktuelle Bedeutungszuwachs der Religionskritik damit zusammen, dass Religionen gegenwärtig (und dies nicht nur im islamischen Kulturkreis!) offensiv und auch für Laien erkennbar als politische Akteure auftreten. Insbesondere in Amerika sorgte der in den letzten Jahren zu beobachtende religiöse Rollback21 in wissenschaftlichen Kreisen zu einer neuen Sensibilität gegenüber religionskritischen Fragestellungen.

Bemerkenswerter Weise hat im Zuge dieses Prozesses ein personeller Wechsel in der religionskritischen Spitze stattgefunden. Gaben früher Geistes- und Sozialwissenschaftler die stärksten religionskritischen Impulse, so stehen heute Naturwissenschaftler in vorderster Front. Dies führte zu einem Perspektivenwechsel in der religionskritischen Argumentation. Neben den eher traditionellen ethischen und politischen Fragestellungen der Religionskritik sind heute vor allem solche Probleme in den Mittelpunkt des religionskritischen Interesses gerückt, die sich aus der mangelhaften gesellschaftlichen Akzeptanz des naturalistisch-wissenschaftlichen Weltbildes ergeben.

Von daher trifft die beschriebene Strategie der religionswissenschaftlichen Ausblendung der Wahrheitsfrage in religionskritisch-naturwissenschaftlichen Kreisen auf zunehmendes Unverständnis. In der Tat ist es kaum nachvollziehbar, dass auf der einen Seite renommierte Forscher wie Richard Dawkins mit solidem wissenschaftlichen Inventar und aufklärerischem Engagement die Irrtümer religiöser Argumentationen aufdecken, während auf der anderen Seite Religionswissenschaftler gebetsmühlenartig wiederholen, dass die Frage nach der empirischen und logischen Konsistenz religiöser Wahrheitsansprüche angeblich wissenschaftlich “unklärbar” sei. Den Grundsätzen der Logik zufolge können nicht beide Positionen wahr sein…

Von der Religionswissenschaft weitgehend ignoriert22, findet gegenwärtig parallel zum Kampf der religiösen Kulturen eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den Verkündern religiöser “Wahrheiten” und den Vertretern eines aufgeklärten, wissenschaftlich-naturalistischen Weltbildes statt. (Schon seit längerem ist bekanntlich in Amerika – mittlerweile in abgemilderter Form auch in Deutschland! – der Streit zwischen Kreationisten und Evolutionstheoretikern offen ausgebrochen.)

Was die Vertreter des wissenschaftlich-säkularen Denkens zunehmend stört, ist die wachsende Diskrepanz zwischen a) der ökonomischen wie intellektuellen Bedeutung ihrer Arbeit für die Gesellschaft und b) der gleichzeitigen Ächtung des ihren Arbeiten zugrunde liegenden Weltbildes durch maßgebliche Teile der amerikanischen Bevölkerung sowie des politischen Establishments. Um diese Diskrepanz zu überwinden und den Standpunkt des wissenschaftlichen Denkens in Politik und Gesellschaft besser zu verankern, starteten Richard Dawkins, Daniel Dennett, Massimo Pigliucci und James Randi 2003 einen ungewöhnlichen PR-Feldzug für das wissenschaftliche Denken: Sie initiierten die erste internationale, religionskritisch-naturalistische Intellektuellenbewegung, die “Brights”.23

Das Kunstwort “Brights” bedeutet in etwa die “Aufgeweckten”, “Aufgeklärten”, “Hellen” oder “Gescheiten”. Als dezidierte Anhänger einer naturalistischen, wissenschaftlichen Weltanschauung haben die “Brights” den vielfältigen Formen der Pseudowissenschaft und religiösen Bigotterie den Kampf angesagt – und das durchaus mit Erfolg: Auch wenn Dawkins’ leise Hoffnung, dass in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht einmal ein “Heller”, “Gescheiter”, “Aufgeklärter”, amerikanischer Präsident werden könnte, utopisch klingt, so hat die Bewegung in der kurzen Zeit ihres Bestehens doch einiges dazu beigetragen können, dass mehr und mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Scheu vor der Religionskritik überwunden haben und sich trauen, ihre philosophisch wie wissenschaftlich gut begründeten Positionen offen in Abgrenzung zu den etablierten religiösen Weltbildern zu artikulieren.

Auch in Deutschland hat der hier skizzierte intellektuelle Wandlungsprozess Spuren hinterlassen. Ein Zeichen dafür ist die Gründung der Giordano Bruno Stiftung im Februar 2004. Im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung sind Forscher aus unterschiedlichsten Disziplinen vertreten. Neben Wissenschaftstheoretikern wie Hans Albert oder Bernulf Kanitscheider, neben Juristen, Philosophen, Psychologen und Sozialwissenschaftlern stehen auch hier Naturwissenschaftler an vorderster Front, u.a. der Evolutionstheoretiker/Zo-ologe Franz Wuketits, der Primatologe/ Anthropologe Volker Sommer sowie der Evolutionsbiologe/Physiologe Ulrich Kutschera.

So unterschiedlich die akademische Herkunft der Beteiligten ist, sie eint die Gewissheit, dass es an der Zeit ist, die ideologische Abspaltung der Religionskritik von der Wissenschaft endlich aufzuheben. Dabei geht die Stiftung selbst mit gutem Beispiel voran. Sie redet Klartext – gerade auch in Bezug auf Religion. So wird der zentrale Slogan der Stiftung “Wissen statt Glauben!” auf der Startseite der Giordano Bruno Stiftung im Internet folgendermaßen erläutert: “Wer heute ein logisch konsistentes, mit empirischen Erkenntnissen übereinstimmendes und auch emotional nachvollziehbares Menschen- und Weltbild entwickeln möchte, muss notwendigerweise auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zurückgreifen. Die traditionellen Religionen, die bislang das menschliche Selbstverständnis prägten, können diese Funktion nicht mehr erfüllen. Sie sind nicht nur in vielerlei Hinsicht theoretisch widerlegt, sie haben sich auch in ihrer Praxis häufig genug als schlechte Ratgeber für die Menschheit erwiesen, wie nicht zuletzt der islamische Fundamentalismus oder die ‘Kriminalgeschichte des Christentums’ belegen.”24

Obgleich die Stiftung nach vorne blickt und konstruktiv die Grundlagen einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik erarbeiten möchte, ist den Beteiligten bewusst, dass dieses ambitionierte Projekt ohne ein solides religionskritisches Fundament kaum gelingen kann. Deshalb wird die Giordano Bruno Stiftung in den kommenden Jahren aktiv religionskritische Nachwuchsförderung betreiben und dabei u.a. in zweijährigem Turnus einen mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis (“Deschnerpreis”) vergeben. Mit solchen Initiativen will die Stiftung ein Zeichen dafür setzen, dass die Zeiten des “Feuerbach-Syndroms”, die Zeiten der Unterdrückung religionskritischer Forschung durch die Androhung sozialer Kosten, endgültig vorbei sein sollten.25 Wer sich auf das heikle Gebiet der Religionskritik begibt, so die Stiftungsverantwortlichen, sollte von der wissenschaftlichen Gemeinschaft keineswegs ausgegrenzt, sondern entschieden gefördert werden. Gerade heute (mit Blick auf die globalen kulturellen Auseinandersetzungen!) zeige sich, dass Wissenschaft und Religionskritik untrennbar miteinander verbunden sind.

In der Tat: Betrachtet man die Entwicklungen beispielsweise in Amerika, so sollte sich jeder Wissenschaftler dazu aufgerufen fühlen, Farbe zu erkennen, anstatt sich hinter notdürftig zusammen geschusterten Rationalisierungsversuchen26 zu verstecken. Je mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dem mutigen Vorbild Ludwig Feuerbachs folgen und die Scheu vor der Religionskritik verlieren, desto größere Chancen wird das wissenschaftliche Erkenntnisprogramm haben, sich im Konflikt mit den wieder erstarkten religiösen Heilserzählungen zu behaupten. Damit das unvollendete Projekt der Aufklärung weiterentwickelt werden kann, bedarf es nicht nur kluger Köpfe, sondern auch der Fähigkeit zum aufrechten Gang…

Anmerkungen:

1 vgl. hierzu u.a. Steuerwald, Helmut: Frank(e) und frei: Ludwig Feuerbach. Umfeld – Leben – Wirken – Resonanz. In: Mueller, Volker (Hrsg.): Ludwig Feuerbach. Religionskritik und Geistesfreiheit. Neustadt 2004.

2 Die Ludwig-Feuerbach-Briefmarke der Deutschen Post erscheint im Juli 2004 anlässlich des 200. Geburtstags des Philosophen.

3 Nicht nur Karlheinz Deschner hält den gemarterten Nolaner für “eines der größten Genies der Neuzeit” (Deschner, Karlheinz: Opus Diaboli. Reinbek 1987, S. 43), auch Ludwig Feuerbach bewahrte bis zu seinem Tod ein Bild Brunos auf seinem Schreibtisch auf – vielleicht auch, um sich selbst darüber im Klaren zu sein, dass ihm in früheren Zeiten weit Schlimmeres hätte widerfahren können.

4 vgl. hierzu die instruktiven Erläuterungen von Bernd Laska in der vorzüglichen La Mettrie-Edition des LSR-Verlags.

5 Spinozas Einfluss auf das moderne (nicht nur philosophische, sondern auch naturwissenschaftliche) Denken kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, siehe hierzu u.a. die jüngste Spinoza-Hommage des renommierten Neurobiologen Antonio Damasio (Damasio, Antonio: Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. München 2003).

6 Deschner, Karlheinz: Kriminalgeschichte des Christentums. Reinbek 1986ff.

7 Logisch, Theo: Das ist euer Glaube! Strukturen des Bösen im Dogma. Neustadt 1998.

8 Buggle, Franz: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Aschaffenburg 2004.

9 Frerk, Carsten: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. Aschaffenburg 2002.

10 zitiert nach Eberlein, Gerald: Wertbewusste Wissenschaft. Eine pragmatische Alternative zu wertfreier oder parteiischer Wissenschaft. In: Lenk, Hans (Hrsg.): Wissenschaft und Ethik. Stuttgart 1991, S. 99.

11 vgl. Hock, Klaus: Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt 2002, S. 171f.

12 vgl. Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte (Hrsg.): Religionswissenschaft: Forschung und Lehre an den Hochschulen in Deutschland. Eine Dokumentation. Marburg 2001.

Trotzdem bestehen natürlich auch heute noch weitreichende Kooperationsverträge zwischen religionswissenschaftlichen Lehrstühlen und Theologischen Fakultäten. Insofern ist es kein Wunder, dass kaum ein Religionswissenschaftler den höchst problematischen Wissenschaftsstatus der Theologie in der gebotenen Klarheit thematisiert Eine löbliche Ausnahme bildet hier der Tübinger Religionssoziologe Günter Kehrer, dessen “Plädoyer für die Abschaffung der theologischen Fakultäten” (siehe http://www.ibka.org/artikel/ theol.html) an Klarheit wahrhaftig nichts zu wünschen übrig lässt.

13 Die ehemals allzu deutliche Neigung zur religiösen Apologetik (siehe beispielsweise das berühmte, die Religionswissenschaft lange Zeit prägende Buch Rudolf Ottos Das Heilige von 1917) ist nahezu verschwunden, auch beschränkt sich die religionswissenschaftliche Arbeit heute nicht mehr auf philologische Harmlosigkeiten, vielmehr stehen auch psychologische, soziologische und ökonomische Aspekte im Zentrum der religionswissenschaftlichen Analyse (vgl. hierzu auch Hock 2002). Insofern ist die Religionswissenschaft heute zweifellos eine Ernst zu nehmende wissenschaftliche Disziplin, der man – im Unterschied zur Theologie – weitere Ausbreitung wünscht.

14 siehe: http://www.uni-tuebingen.de/religwiss/ stp1.html

15 vgl. Küng, Hans: Projekt Weltethos. München, Zürich 1990. Kritisch hierzu: Schmidt-Salomon, Michael: Erkenntnis aus Engagement. Aschaffenburg 1999, S. 214ff.

16 vgl. Schmidt-Salomon, Michael: Was ist Wahrheit? Das Wahrheitskonzept der Aufklärung im weltanschaulichen Widerstreit. In: Aufklärung und Kritik 2/2003.

17 vgl. Weber, Max: Soziologie. Weltgeschichtliche Analysen. Politik. Stuttgart 1964, S. 189f.

18 siehe u.a. Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft. Tübingen 1991; oder: Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng. Hamburg 1979.

19 Knoblauch, Hubert: Religionssoziologie. Berlin 1999, S. 13.

20 ebenda, S. 34f.

21 vgl. Schmidt-Salomon, Michael: Amerika und “das Böse”. Über den wachsenden Einfluss der christlichen Rechten in den USA. In: MIZ 2/03.

22 Ohnehin wurden religions- und ideologiekritische Argumente in der Religionswissenschaft kaum ihrer Bedeutung entsprechend wahrgenommen, worauf vor allem Kurt Randolph hingewiesen hat (vgl. u.a. Randolph, Kurt: Die ideologiekritischen Traditionen in der Religionswissenschaft. In: Kippenberg, Hans/Luchesi, Brigitte (Hrsg.): Religionswissenschaft und Kulturkritik. Marburg 1991). Immerhin: Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst (REMID) hat dankenswerter Weise das lange verdrängte Thema “Kritik an Religionen” 1995 im Rahmen eines dreitägigen Symposiums aus der Versenkung geholt (siehe auch die entsprechende Dokumentation: Klinkhammer/Rink/Frick (Hrsg.): Kritik an Religionen. Religionswissenschaft und der kritische Umgang mit Religionen. Marburg 1997). Die Tatsache indes, dass auf dieser Tagung zur Religionskritik zwar der Leiter einer evangelischen Arbeitsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen auftrat, jedoch kein ausgewiesener Religionskritiker, mag andeuten, wie problematisch das Verhältnis von Religionskritik und Religionswissenschaft auch heute noch ist.

23 vgl. hierzu MIZ 4/03, S. 57f.

24 siehe: http://www.giordano-bruno-stiftung.de/

25 Wie sehr die über viele Jahre antrainierte, ängstlich-antiaufklärerische Haltung selbst den Umgang mit den Klassikern der Philosophie prägt und was dagegen möglicherweise unternommen werden könnte, hat Hermann Josef Schmidt, Kuratoriumsmitglied der Giordano Bruno Stiftung, bereits im Jahre 2001 skizziert (siehe: Schmidt, Hermann Josef: Der alte Ortlepp war’s wohl doch. Aschaffenburg 2001, S. 345ff.).

26 Diese Rationalisierungsversuche können in unterschiedlichem Gewand auftreten, wissenschaftstheoretisch (“Als Wissenschaftler kann ich zu Religionen keine Werturteile abgeben!”), bagatellisierend (“Warum die Mühe? Religionen nimmt doch sowieso niemand mehr Ernst!”), mitunter sogar moralisierend (“Es ist unfair und kindisch, einen Gegner (heißt: die ach so schwachen Religionen!) zu treten, der bereits am Boden liegt!”). Schaut man hinter die Kulissen, stellt man schnell fest, dass solche Aussagen inhaltlich nicht begründet sind. Sie speisen sich vielmehr aus einer kulturell erworbenen Angst, nämlich der Angst vor wissenschaftlichem Reputationsverlust – die derzeit wohl wichtigste Variante des “Feuerbach-Syndroms”…