Aus:
Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) H. 3-4/1990 (S. 21-28) und MIZ H. 1/1991 (S. 34-38). Copyright bei
den Verfassern
Aus dem Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland:
Art. 1 "1. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
2. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen
Menschenrechten als
Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit
in der Welt."
Art. 4 "1. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses sind unverletzlich."
Art. 5 "3. Kunst und Wissenschaft, Forschung
und Lehre sind frei.
Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung."
Instructio der
Kongregation für die Glaubenslehre:
"Man kann sich darum nicht auf diese
Rechte des Menschen berufen, um sich den Äußerungen des Lehramtes zu
widersetzen." - (n. 36)
"Hier von der Verletzung von
Menschenrechten zu reden, ist fehl am Platze, denn man verkennt dabei die
genaue Hierarchie dieser Rechte ..." (n.37)
Wer Dinge behauptet oder fordert, die
neu oder umstritten sind, gerät in ein Dilemma: Faßt er sich kurz, sagen die
einen "Nun, das ist doch wohl etwas übertrieben und einseitig",
während andere zetern mögen "das ist pure Polemik, das Behauptete wird ja
in keiner Weise belegt." Begründet und belegt man seine Behauptungen
jedoch sorgfältig, gerät das Ganze zum vielseitigen Opus, das keiner mehr lesen
will. Da wir sowohl überzeugt sind, daß wir unsere Behauptung:
"Die 'Instruktion über kirchliche
Berufung des Theologen' der Kongregation für die Glaubenslehre vom 24.Mai 1990
definiert die katholische Theologie rechtsverbindlich so, daß dieses Fach an
einer staatlichen Universität nichts verloren hat."
beweisen können, andererseits keinen Wert darauf legen, für die Ablage oder den
Papierkorb gearbeitet zu haben, versuchen wir folgenden Ausweg: wir stellen
unserem Artikel "Theologie als
Glaubensgehorsam" eine kurze Zusammenfassung voraus. Der/die
(ab-)geneigte LeserIn kann nach deren Lektüre überprüfen,
ob wir den Mund zu voll genommen haben, wofern dafür - was wir hoffen - das
Interesse geweckt ist.
1. Die Instruktion über die kirchliche
Berufung des Theologen ('Instructio') stellt die
Gleichung auf: Gott = die Wahrheit.
Die Frage nach der Wahrheit wird damit zur Glaubensfrage. Daraus folgt: Die
Erkenntnis einer so verstandenen Wahrheit ist nur im Glauben möglich, dem
Verstand sind dabei nicht nur die ihm immanenten Grenzen gesetzt, vielmehr muß
er sich auf den Bereich beschränken, der ihm vom Lehramt, das über die Wahrheit
wacht, zugestanden wird.
2. Die Instructio
zählt zu den Bereichen, in denen der Theologe (wie jeder Gläubige) zum
"Glaubensgehorsam" verpflichtet ist, nicht nur "unfehlbare"
Aussagen des Lehramtes auf dem Gebiet des Glaubens und der Moral, sondern auch
an sich fehlbare Lehren, Weisungen und Entscheidungen in Sachen der Disziplin.
Überall aber wo "Glaubensgehorsam" gefordert ist, hat der Verstand zu
schweigen. Da das Lehramt sich zudem vorbehält, Diskussionen zu bestimmten
Themen zu unterbinden, sind Forschungsbereiche, in denen der katholische
Theologe nicht der Verpflichtung zum Glaubensgehorsam unterliegt, nicht
auszumachen. Es sei denn, er ziehe sich auf Nischen wie etwa "Der Weinbau
in Israel im Spiegel der Hl. Schrift" zurück.
3. Vom Lehramt abweichende Meinungen
sind nach Ansicht der Instructio ein moralisches
Problem. Sie sind sachlich nicht begründbar, sondern wurzeln in einem
persönlichen Defekt des Abweichlers, z.B. in seiner mangelhaften persönlichen
Heiligung, seinem ungenügend gebildeten Gewissen, seiner sündigen Verfaßtheit,
seinem auf Vorurteilen beruhenden Geist der Kritik, seiner Untreue gegen den
Hl. Geist.
4. Für den mit dem Lehramt in Dissens
geratenen Theologen gibt es - nach Meinung der Instructio
- zwei Verhaltensmöglichkeiten: eine schlechte und eine gute.
Die scharf verurteilte und mit
Sanktionen bedrohte schlechte Möglichkeit besteht darin, die Diskussion zu dem
fraglichen Punkt öffentlich zu führen und Gruppen mit Gleichgesinnten zu
organisieren.
Die tolerierte Möglichkeit verlangt von
dem Theologen, den Dissens als "Aufruf zu schweigendem und betendem
Leiden" zu begreifen und vor allem jede Form der Publizität zu vermeiden.
5. Weil "die Wahrheit frei
macht", macht die Unwahrheit nach Meinung der Instructio
zwangsläufig unfrei. Da es aber das Lehramt ist, das über die Wahrheit zu
befinden hat, ist es absolut verfehlt, einen Dissens zum Lehramt mit dem
Hinweis auf Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit oder der Freiheit der
Forschung und Lehre rechtfertigen zu wollen. Denn jedes Abweichen von der dem
Lehramt anvertrauten Wahrheit führt in die Unfreiheit, während Maßnahmen, die
scheinbar die Freiheit des Theologen beeinträchtigen in Wirklichkeit eine
"tiefer reichende Freiheit" aufrichten.
Schlußfolgerung: Die Instructio ist für katholische Theologlnnen rechtsverbindlich. Die katholische Theologie
und die Aufgaben des katholischen Theologen werden von der für sie maßgeblichen
Autorität so definiert, daß damit klargestellt ist: Die katholische Theologie
erfüllt nicht einmal theoretisch die Mindestvoraussetzungen der
Wissenschaftlichkeit, sie ist lediglich Sprachrohr einer Ideologie. An einer
staatlichen Universität hat sie darum nichts verloren.
Manchen Druckerzeugnissen wünscht man
mehr Leser. Die "Instruktion über
die kirchliche Berufung des Theologen" herausgegeben am 24.
Mai 1990 von der "Kongretation für die
Glaubenslehre" der Katholischen Kirche gehört dazu: Es kann gar nicht
genug Menschen geben, die sie gründlich
lesen. (1) Nicht wegen
ihres sprachlichen Stils. Der ist streckenweise schauerlich, was die Vermutung
nährt, Herrn Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation (ehemals
Professor an deutschen Universitäten wie Tübingen und Regensburg) ginge es
ähnlich wie Herrn Wörner, der seit seiner Beförderung ins Ausland der deutschen
Sprache nicht mehr mächtig ist.
Es ist der Inhalt der Instructio,
der unsere Aufmerksamkeit verdient. Ob aber Aufmerksamkeit reicht? Die
Erfahrung lehrt zweierlei: 1. Bei ungeheuerlichen Texten neigen wir zu der
Annahme, so todernst werde es schon nicht gemeint sein. 2. Tatsächlich werden
die Dinge aber genauso gemeint, wie sie geschrieben worden sind.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ihre
Angelegenheiten haben die Religionsgemeinschaften selbst zu ordnen und jedem
Menschen steht frei, wohin er gehören will. Und wenn die Kirche seiner Wahl
verlangt, täglich dreißig Minuten auf dem Kopf zu stehen und die Zeitung
rückwärts zu lesen - bitteschön. Alles, was gefällt, ist erlaubt - solange es
nicht auf Kosten anderer geschieht.
Aber: Wie ist das, wenn eine religiöse
Gemeinschaft beansprucht, in einer staatlichen Institution vertreten zu sein,
sie aber deren Spielregeln nicht akzeptieren will? Konkret: Wenn die Katholische
Kirche ihren theologischen Nachwuchs an staatlichen Universitäten - und das
heißt: zu 100% auf Kosten aller Steuerzahler - ausbilden lassen will, darf der
Staat dann verlangen, daß an katholischen Fakultäten nach vergleichbaren
Prinzipien geforscht und gelehrt wird, die für alle anderen Fakultäten
verbindlich sind, oder muß er sich mit der Rolle des Zahlmeisters begnügen?
Die Instructio
legt für katholische Theologen verbindlich fest, wie sie zu forschen und zu lehren
haben, wofern sie Theologen im Sinne der Katholischen Kirche bleiben wollen.
Das soll im folgenden referiert werden.
Pilatus wird seit knapp 2000 Jahren von
der Kirche die Frage "Was ist Wahrheit?" übelgenommen und als
Ausdruck eines unverbindlichen Relativismus angelastet. Zu Unrecht, wie wir
meinen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen empfiehlt es sich nämlich zu
prüfen, ob zwei dasselbe meinen, wenn sie z.B. sagen, sie fühlten sich in ihrer
wissenschaftlichen Arbeit ausschließlich der Wahrheit verpflichtet. Sie könnten
nämlich unter "Wahrheit" jeweils völlig anderes verstehen.
In der Instructio wird zunächst mehrfach festgestellt, daß
Wahrheit ein Geschenk sei. Wahlweise ein Geschenk Christi oder ein Geschenk
Gottes (n. 1) (2). Über solche Formulierungen hinwegzugehen, weil man sie für
Lyrik hält, wäre voreilig. Ein Geschenk ist nämlich etwas anderes als eine
Aufgabe. Eine Wahrheit, die man sich schenken lassen muß, verlangt anderes von
einem als eine Wahrheit, die erarbeitet werden soll und kann. Über Umfang und
Zeitpunkt eines Geschenks bestimmt der Schenkende. Das heißt nicht von vornherein,
daß die Aktivität eines Beschenkten geringer ist. Aber sie ist anders. Genauso
wie sein Bewußtsein ein anderes ist. "Heureka"
- das sagt man nicht als Beschenkter, da sagt man "danke". Auch die
andere Hälfte der Aussage, daß nämlich Wahrheit Geschenk Gottes sei, sollte nicht voreilig
für eine theologische Floskel gehalten werden. Sonst übersieht man, daß der
Text Wahrheit grundsätzlich als eine religiöse (und moralische) Dimension
versteht. Die Kurve hin zur Transzendenz wird in dem Dokument rasant genommen,
mit besonders atemberaubender Geschwindigkeit in n. 8, wo die Gleichung Wahrheit = Gott + Heilsplan
aufgemacht wird. Liest man den ganzen Satz, so erschließt sich einem - nein,
wir wollen nicht sagen: die Absicht, denn dies wäre eine Unterstellung - es
erschließt sich einem die Konsequenz einer solchen Gleichsetzung. Es heißt dort
nämlich: "Da das Objekt der Theologie die Wahrheit, nämlich (3) der lebendige Gott und
sein in Jesus Christus geoffenbarter Heilsplan ist,
muß der Theologe sein Glaubensleben vertiefen sowie wissenschaftliches Forschen
und Gebet immer vereinen."
Gewiß ist es nicht überraschend, wenn
Theologie und Glaube in Zusammenhang gebracht werden. Aber daß Wahrheit und
Gott zu austauschbaren Größen werden, hat Folgen, die in dem eben zitierten
Satz schon anklingen, wenn vom Theologen verlangt wird, daß er wissentschaftliches Forschen, Glaube und Gebet miteinander
vereinen soll. Das ist in sich schlüssig, denn Gott läßt sich nicht
wissenschaftlich erfassen, sondern nur glauben. Damit ist aber ausgeschlossen,
daß jene Wahrheit, die als Objekt theologischen Forschens definiert wird,
falsifiziert werden kann. Gemeinhin gilt aber als Voraussetzung für wissenschaftliches
Arbeiten, daß es sich auf Hypothesen beschränkt, die - wenigstens theoretisch -
falsifiziert werden können.
Wieviel nun durch die Vernunft erkannt
werden kann (und damit dem wissenschaftlichen Forschen zugänglich ist) und wo
andererseits zur Erkenntnis der Glaube vonnöten ist, beschreibt die Instructio folgendermaßen: "Obwohl diese geoffenbarte Wahrheit all unser Reden überschreitet und
unsere Begriffe angesichts seiner letzten Endes unergründlichen Erhabenheit
unvollkommen bleiben, so fordert er (= der Glaube: U. + J. N.) doch unsere
Vernunft, dieses Geschenk Gottes zum Erfassen der Wahrheit auf, in ihr Licht
einzutreten und so fähig zu werden, das
Geglaubte in einem gewissen Maß auch zu verstehen..." (n.
6). "Obwohl die geoffenbarte Wahrheit die
menschliche Vernunft übersteigt, so steht sie mit ihr doch in tiefer
Übereinstimmung und setzt voraus, daß die Vernunft ihrer Natur nach auf die
Wahrheit hingeordnet ist, so daß sie, vom
Glauben erleuchtet, den Sinn der Offenbarung erfassen kann."
(n. 10) (4). Wenn Wahrheit in dieser Weise mit Transzendenz verknüpft wird, hat
das zur Folge, daß ihre Erkenntnis zu einem moralischen Problem wird. Der Gegensatz von Wahrheit
ist dann nicht einfachhin mehr die Nichtwahrheit, sondern
die Lüge: "Die
Wahrheit, ein Geschenk Gottes für sein Volk" soll den Menschen "von
den Fallstricken des 'Vaters der Lüge'", also des Teufels befreien. (n. 2)
Wenn die Wahrheit nicht erkannt wird, hat das seinen Grund in der
"sündigen Verfaßtheit des Menschen" (n. 16), kann ihn zumindest darin
haben. Auf diese Weise läßt sich auch die Berufung auf die Gewissensfreiheit
mindestens einschränken: Wenn ein Gläubiger sich gegen das Lehramt auf sein Gewissen
beruft, hat er eben verabsäumt, sein Gewissen richtig zu bilden. (5)
In dürren Worten: Für die Erkenntnis
der theologischen Wahrheit ist der Verstand von geringem Nutzen; ohne den rechten Glauben jedoch von gar
keinem.
Und damit hat uns die
Glaubenskongregation dort, wo sie uns haben will, nämlich bei der Frage: Wer bestimmt, was richtiger und was falscher Glaube ist? Denn wer
das zu entscheiden hat, bestimmt gleichzeitig über die in der Transzendenz
gegründete Wahrheit.
Bevor wir uns aber der Antwort
zuwenden, welche die Instructio auf die Frage gibt,
zunächst noch eine weitere Begriffserklärung:
Das schöne Wort, von der Wahrheit, die
frei macht (6), hat hier seinen Platz, und eigentlich ist damit bereits alles
gesagt. Denn:
1.
Gott ist die Wahrheit.
2.
Gott läßt sich nur im Glauben erkennen.
3.
Weil die Wahrheit frei macht und Gott
die Wahrheit ist und Gott nur im Glauben erkannt werden kann, gibt es nur im
Glauben Freiheit.
Damit sind wir auch von dieser Seite
her bereits wieder am Knackpunkt: Wenn der Glaube Voraussetzung der Freiheit
ist, so bestimmt wiederum der, der festlegt, was richtiger Glaube ist, auch
darüber, wie richtige Freiheit aussieht. Oder mit den Worten der Instructio: "Christus ist als solcher die Wahrheit,
die frei macht. Akte der Anhänglichkeit und Zustimmung zum Wort, das der Kirche
unter der Leitung des Lehramtes anvertraut ist, gelten Ihm und führen in den
Raum wahrer Freiheit
ein." (n. 41) (7)
Wie unter diesen Umständen
Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit und Freiheit der Forschung und Lehre zu
verstehen sind, kann nicht weiter zweifelhaft sein. Die Instructio
ist eindeutig. Allerdings ist ihre Logik für Menschen, die sich auf ihren
Verstand als einziges Erkenntnismittel stützen müssen, schwer nachvollziehbar.
Kurz gesagt heißt es: Weil der Mensch der Wahrheit gegenüber keineswegs frei
ist, vielmehr moralisch
verpflichtet, sie anzunehmen und - so muß man ergänzen - das kirchliche Lehramt
weiß, was Wahrheit
ist, kann sich niemand auf die Religionsfreiheit berufen, der mit dem
kirchlichen Lehramt in Dissens kommt. (8) Religions- und Gewissensfreiheit
werden also allein dem weltlich-staatlichen Raum zugeordnet. Im Raum der Kirche
gilt ausschließlich die Pflicht zum "Glaubensgehorsam" (vgl. n. 29).
Dies ist keine sonderlich neue Argumentation; sie wurde zur Abwehr der Forderung
nach staatlich garantierter Religionsfreiheit oft genug gebraucht. Damit aber
ist der ideologische, weil eben nicht mehr hinterfragbare Charakter
'kirchlich-katholischen' Glaubens festgestellt. Eine davon abhängige Lehre kann
beim besten Willen nicht mehr in den Kontext universitärer Wissenschaft
eingeordnet werden. (9)
Nach dem Gehörten ahnt man bereits, was
es mit der Freiheit der Forschung für die Theologie auf sich hat: "Die der
theologischen Forschung eigene Freiheit gilt innerhalb des Glaubens der Kirche."
(n. 11) Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Das heiß nicht, daß die
Freiheit der Forschung auch innerhalb der Kirche gilt, sondern: Die Freiheit
der Forschung für Theologen wird durch den vom Lehramt formulierten Glauben der
Kirche begrenzt: "Die Freiheit der Forschung... bedeutet die Bereitschaft,
die Wahrheit so anzunehmen, wie sie sich am Ende einer Forschungsarbeit
darbietet, bei der kein Element Einfluß gewinnt, das den Erfordernissen einer
dem studierten Objekt entsprechenden Methode fremd ist. In der Theologie ist
diese Freiheit der Forschung innerhalb
eines rationalen Wissens anzusetzen, dessen Gegenstand von der Offenbarung
gegeben wird, wie sie in der Kirche unter der Autorität des Lehramts
übermittelt, ausgelegt und vom Glauben angenommen wird. Diese
Elemente, die den Rang von Grundsätzen
haben, beiseite zu lassen, würde bedeuten, daß man aufhört, Theologie zu treiben." (n. 12)
Dieses rabulistische Wortgeklingel
enthält eine knallharte Neuerung, die der katholischen (Rechts-)Tradition
bislang fremd war: Es wird nun (Verfahrens- und Interpretations-)Grundsätzen
die Funktion von Qualifikationskriterien über theologisches Arbeiten
zugeschrieben. Das hat es noch nie gegeben! Das hat - außer Bonifaz VIII. -
noch kein Papst so zu formulieren gewagt. Das ist eine Neuerung nicht des
unfehlbaren Lehramtes, sondern des unfehlbaren obersten Glaubensschützers. Wenn
Theologie im Verständnis des römischen Lehramtes nur möglich ist, wenn ihr
Gegenstand nicht nur "unter der Autorität des Lehramtes übermittelt",
sondern auch "ausgelegt und vom Glauben angenommen" werden muß, dann
hat Theologie nichts anderes mehr zu tun, als das vom römischen Lehramt
Formulierte wie ein Lautsprecher zu propagieren. Dann ist in ihr keinerlei Raum
für eigenverantwortliche Forschung, sie hat darum im Kontext weltlicher,
fehlbarer Wissenschaften keinen Platz. Wären sie ehrlich, müßten der
(katholischen) Kirche und ihrer Theologie auch an einer solch irrtumsfähigen
Nachbarschaft nichts gelegen sein. Aber: Erstens 'schmückt' der Glanz der
Wissenschaft auch die merkwürdigste Lehre und zum zweiten bringt die Aura der
Wissenschaftlichkeit viel Geld. Mehr als 200 Millionen DM pro Jahr zahlt in der
Bundesrepublik Deutschland der Staat allein für die theologischen Fakultäten.
Dafür nimmt man die Nachbarschaft mit dem strukturellen und
wissenschaftstheoretisch fundierten Irrtum schon in Kauf!
Prinzipien und Methoden, wie sie sonst
in der Forschung gelten, bzw. angewandt werden, haben in der Theologie
konsequenterweise nur eine beschränkte Funktion: "Wenn die Theologie
begriffliche Elemente und Methoden, die von der Philosophie oder anderen
Wissenschaften herstammen, verwendet, muß sie zu unterscheiden wissen, wobei sie das letzte normgebende Prinzip in der geoffenbarten Lehre findet. Diese muß ihr die Kriterien für
die Beurteilung dieser begrifflichen Elemente und Methoden an die Hand geben
und nicht umgekehrt." (n. 10)
Anders gesagt: Die geoffenbarte
Lehre bestimmt, wie sie zu erforschen ist. Und damit sind wir wieder - jetzt
aber endgültig - bei der Frage: Und wer bestimmt, was geoffenbarte
Lehre ist?
Aus dem politischen Raum wissen wir um
die schwere, oft leidvolle Aufgabe der Verfassungsschützer: nicht nur, daß der
Gegenstand ihres Schutzes äußerst schwächlich und darum keinesfalls in der Lage
ist, sich selbst zu verteidigen. Vielmehr sind die Gefahren, die der Verfassung
drohen, so zahlreich und ihre Feinde derart abgefeimt, daß sich ein Laie davon
keine Vorstellung machen kann. Schlimmer aber - und das ist es, was es dem Verfasssungsschützer so schwer macht und ihn fast biffer werden läßt: Das Volk - anstatt dankbar zu sein -
schätzt sein Wirken oft genug gering, wird gelegentlich sogar störrisch und
schenkt den Einflüsterungen dubioser Elemente Gehör, die (aus grundböser
Absicht) die Dinge auf den Kopf stellen, indem sie behaupten, man müsse die
Verfassung vor dem Verfassungsschutz schützen.
Manch ein Mitglied des kirchlichen
Verfassungsschutzes - auch "Lehramt" genannt - wird hier seufzend
nicken und [bei aller sonstigen Betonung der Unvergleichbarkeit der Kirche mit
politischen Systemen (10)] sagen: "Genau wie bei uns!"
Wer gehört zum kirchlichen
Verfassungsschutz? Oder anders gefragt: Wer bestimmt, welcher Glaube richtig
und welcher falsch ist?
Hier wäre es - vor allem im Gefolge des
unseligen II. Vatikanischen Konzils, aber durchaus kirchlicher Tradition gemäß
- fast zu einer Panne gekommen, weil etwas leichtsinnig dem Kirchenvolk in seiner
Gesamtheit Teilhabe an der Unfehlbarkeit wieder ausdrücklich zugeschrieben
wurde. Dieser Schnitzer läßt sich aber ausbügeln: Das Kirchenvolk bekommt die
Unfehlbarkeit nur dann zugebilligt, wenn es so will, wie die Leitung. Für
unseren Zusammenhang ist diese Variante darum nicht weiter von Belang. (11)
Die Mitglieder des Lehramtes - auch
Hirten genannt (z.B. nn. 15, 17, 19, 24, 34, 35 u.a.)
- sind in erster Linie der Papst und die Bischöfe. Der Papst natürlich in
allererster Linie, für die Bischöfe gilt analog das, was über das Verhältnis
Lehramt - Gottesvolk gesagt wurde: "Die Lehrtätigkeit jedes einzelnen Bischofs...
erfolgt in Gemeinschaft mit der des Römischen Papstes... Diese Gemeinschaft ist
Bedingung für ihre Authentizität." (n. 19) (12)
Schließlich - und das ist in dieser
Ausdrücklichkeit neu - werden auch die "Organe der Römischen Kurie,
insbesondere die Kongregation für die Glaubenslehre" dann zum
"ordentlichen Lehramt" gezählt, wenn ihre Aussagen vom Papst
approbiert sind, wie das etwa bei der Instructio der
Fall ist. (n. 18) Das ist eine unerhörte Neuerung und die Instructio
verweist an dieser Stelle auch auf Quellen, die das Behauptete keineswegs
stützen. (can. 360f. CIC = Kongregationen als Organe des Papstes, die nach
festgelegten Regeln zu arbeiten haben.)
Abstrahiert man von einigen blumigen
Formulierungen (13), besteht die Aufgabe des Lehramtes darin, die ihm
anvertraute Herde "vor Abweichungen und Verirrungen zu schützen" (n.
14), "zu wachen, daß das Volk Gottes in der Wahrheit, die frei macht,
verbleibt" (n. 20, ähnlich n. 21), "authentisch die Lehre der
Apostel" vorzulegen und "die Entwürfe gegen den Glauben und dessen
Verfälschungen" zurückzuweisen, "neue Vertiefungen, Verdeutlichungen
und Anwendungen der geoffenbarten Lehre"
vorzulegen (n. 21) und schließlich über die "Einheit zu wachen und zu
verhindern, daß die... Spannungen... zu Spaltungen ausarten." (n. 40)
Eine solche Aufgabenstellung läßt sich
verschieden auslegen, weit oder eng, je nachdem, was man z.B. als
"Abweichung" und "Verfälschung" definiert, oder in welchen
Bereichen und in welchem Umfang man "Vertiefungen" bzw. "Anwendungen
der geoffenbarten Lehre" für notwendig erachtet.
Darum ist entscheidend, für welche
Bereiche und in welchem Umfang sich das Lehramt für zuständig erklärt. Daß es
sich "in Sachen des Glaubens und der Sitten mit dem Charisma der
Unfehlbarkeit ausgestattet" fühlt (n. 15), dürfte inzwischen zum
Allgemeinwissen gehören. Dagegen überrascht es, daß die Unfehlbarkeit für diese
Bereiche "im besonderen"
gelten soll (n. 15), eine Formulierung, die für die Verfasser den Vorteil hat,
daß sie dehnbar wie Gummi ist. Wenigstens theoretisch ist auf diese Weise kein
Bereich von dem Anspruch des Lehramtes auf Unfehlbarkeit ausgeschlossen.
Im vorliegenden Text beschränkt man
sich jedoch darauf, potentielle Unfehlbarkeit auch für solche Aussagen zu
reklamieren, "wenn sie nicht in den Glaubenswahrheiten enthalten, wohl
aber mit ihnen innerlich
so verknüpft sind, daß ihr definitiver Charakter letztlich sich von der Offenbarung
selber herleitet." (n. 16) Selbstverständlich ist es das Lehramt, dem es
zukommt festzustellen, ob eine derartige Verknüpfung "innerlich" und
"letztlich" vorliegt oder nicht. Auf dem Gebiet der Moral lassen sich
unfehlbare "normgebende Urteile" ebenfalls nicht nur insoweit machen,
als sie "mit den Forderungen des Glaubens übereinstimmen und seine
Anwendung im Leben fördern", sondern auch in Bezug auf "jene Akte,
die aufgrund ihres inneren Schlechtseins mit diesen Forderungen unvereinbar
sind... die Zuständigkeit des Lehramtes (erstreckt sich) auch auf den Bereich
des Naturgesetzes."
(n. 16) Überflüssig zu erwähnen, daß es wiederum das Lehramt ist, das
definiert, was "Naturgesetz" ist. (14) Auch dies ist eine neue
Behauptung, die in dieser Form in der theologischen Tradition der katholischen
Kirche keine Grundlage hat. Der bei Theologen beliebte Hinweis, in allem, was
das Lehramt nicht ausdrücklich und "ex cathedra"
definiert habe, könne frei geforscht und gelehrt werden, ist damit eindeutig
als Illusion decouvriert.
Denn, "Der göttliche Beistand ist
ferner den Nachfolgern der Apostel gegeben, wenn sie... ohne eine unfehlbare
Definition abzugeben und ohne sich 'definitiv' auszusprechen, in der Ausübung
ihres ordentlichen Lehramtes eine Lehre vortragen, die zu einem besseren
Verständnis der Offenbarung in Sachen des Glaubens und der Sitten führt, oder
moralische Weisungen erlassen, die sich aus dieser Lehre ergeben (15)... Aus
dem gleichen Grund fehlt auch den lehramtlichen Entscheidungen in Sachen der
Disziplin nicht der göttliche Beistand, selbst wenn sie nicht durch das
Charisma der Unfehlbarkeit garantiert sind, und sie beanspruchen daher die Zustimmung der Gläubigen."
(n. 17)
Schließlich und endlich kann das Lehramt
"um dem Volk Gottes möglichst gut zu dienen... bei diskutierten Fragen
eingreifen" um vor "gefährlichen Auffassungen" zu warnen, "die zum Irrtum führen können."
(n. 24)
Anders gesagt: Das Lehramt kann die
Diskussion zu jedwedem Thema verbieten, wenn es glaubt, dadurch die Entstehung von Irrtümern vermeiden
zu können. Katholiken haben nicht zu diskutieren, sondern zu gehorchen:
"Wenn das Lehramt - auch ohne die Absicht, einen 'definitiven' Akt zu
setzen - eine Lehre vorlegt, sei es, um zu einem tieferen Verständnis der
Offenbarung beizutragen oder ihren Inhalt zu verdeutlichen, sei es, um die
Übereinstimmung einer Lehre mit den Glaubenswahrheiten zu betonen, sei es
andererseits, um vor mit diesen Wahrheiten unvereinbaren Auffassungen zu
warnen, ist eine religiöse Zustimmung
des Willens und des Verstandes gefordert. Diese darf nicht rein äußerlich und
disziplinär bleiben, sondern muß sich in die Logik des Glaubensgehorsams
einfügen und von ihm bestimmen lassen." (n. 23)
Abgesehen von diesen gerade
aufgezählten Einschränkungen ist der Theologe absolut frei in seinem Forschen
und Lehren. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, aber manches kann man
nicht oft genug sagen.
Zunächst wird in der Instructio hervorgehoben, daß es Parallelen zwischen dem
Lehramt und der Theologie gibt. Beide haben "das gleiche Ziel: das Volk
Gottes in der Wahrheit, die frei macht, zu bewahren und es damit zum ,Licht der
Völker' zu machen." (n. 21) Insofern kann der Theologe sogar "in einem gewissen Sinn
zur Teilhabe am Auftrag des Lehramtes" gelangen (n. 22), nämlich dann,
wenn er durch "'missio canonica' oder
Lehrauftrag" mit "Ablegen... des Treueeids...
amtlich mit der Aufgabe betraut (ist), mit aller Genauigkeit und unverkürzt die
Lehre des Glaubens vorzulegen und zu erklären." (n. 22) Den katholischen
Theologen mag es überlassen sein, darüber nachzudenken, was es über das
Vertrauen in die Kraft des (Hl.) Geistes aussagt, wenn zu Sicherung von Glaube
und Charisma ein Eid verlangt wird, entgegen dem klaren 'göttlichen Gebot':
"Ich aber sage euch: ihr sollt überhaupt nicht schwören!" (Mt 5.34) (16)
Um seiner Aufgabe gerecht zu werden,
ist der Theologe - wie schon erwähnt - gehalten, sein Glaubensleben zu
vertiefen und zu beten, weil "er auf diese Weise für den 'übernatürlichen
Glaubenssinn' aufgeschlossener (wird), von dem er abhängt und der ihm als
sichere Regel gelten wird, die seine Reflexion leitet und die Richtigkeit
seiner Ergebnisse messen läßt." (n. 8) Er wird "seinen Blick durch den
Glauben reinigen lassen, denn Theologie treiben erfordert ein geistliches
Bemühen um Redlichkeit und Heiligung." (n. 9); "er darf sich nicht
dieser Welt angleichen und die Unabhängigkeit des Urteils, wie sie Jüngern
Christi zukommt, verlieren." (n. 32) So kann man es freilich auch sehen!
Selbstverständlich wird er dem
"Spruch des Lehramtes bei an sich nicht irreformablen
Dingen" normalerweise "loyal zustimmen." (n. 24) (Daß er ihm bei
irreformablen Äußerungen ausnahmslos zuzustimmen hat,
bedarf keiner Erwähnung). (17) Sollte er bei einer nicht irreformablen
Aussage des Lehramtes doch einmal eine Frage haben, wird er sie erst stellen,
nachdem er "sorgfältig ihre Autorität, wie sie sich... aus dem Nachdruck,
mit der sie als Lehre vorgetragen wird und aus der Ausdrucksweise selber
ergibt, geprüft hat." (n. 24) Dabei ist er sich "der Abklärung von
Fragen im Lauf der Zeit bewußt" (n. 24), was wohl heißen soll, das meiste
erledige sich durch Liegenlassen. Das schließt ein, daß er die "vorzeitige
Veröffentlichung" von Forschungsergebnissen vermeidet. (n. 27) Was er
hervorbringt, ist schließlich "nur ein Angebot für die ganze Kirche.
Vieles muß im brüderlichen Gespräch korrigiert und erweitert werden, bis die
ganze Kirche es annehmen kann." (n. 11) Deshalb "kann die Kühnheit,
die sich dem Bewußtsein des Theologen oft nahelegt (!), keine Früchte bringen
und 'erbauen', wenn sie nicht von der Geduld des Reifenlassens begleitet
ist." (n. 11) Kurz und gut: Der Theologe wird "nie vergessen..., daß
auch er ein Glied des Volkes Gottes ist" und sich deshalb bemühen,
"ihm eine Lehre vorzutragen, die in keiner Weise der Glaubenslehre Schaden
zufügt." (n. 11) Eine eigene, unabhängige, nur der 'Sache' verpflichtete
Forschung verbietet sich - folgt man der Instructio -
für den Theologen von selbst.
Selbstverständlich ist im ganzen Text
kein einziges Mal die Rede von Theologinnen. Sie werden wohl ohnehin - wie die
Ministrantinnen - für eine vorübergehende Fehlentwicklung gehalten.
Zwar sollte man es kaum für möglich halten,
daß es trotz der dargestellten detaillierten Regelungen noch zum Konflikt
kommen kann. Die Instructio kennt in der Tat auch nur
unberechtigte Gründe für einen Konflikt zwischen Lehramt und Theologen.
Berechtigte Gründe werden keine genannt. Vielleicht präziser gesagt: Es gibt
für den Theologen keinen berechtigten Grund in Konflikt mit dem Lehramt zu
geraten. Wie sang die SED doch früher? "Die Partei hat immer recht!"
Das Dokument betont, kritische Strenge
sei "etwas anderes als der Geist der Kritik, der eher auf affektive Gründe
oder Vorurteile zurückgeht. Der Theologe muß daher bei sich selber Ursprung und
Motive seiner kritischen Haltung prüfen..." (n. 9) (18) Denn: der Versuchung zum Dissens verfallen, bedeutet zulassen, daß
sich 'Triebkräfte der Untreue
gegen den Heiligen Geist' entfalten." (n. 40) Nicht gerechtfertigt ist die
Uneinigkeit mit dem Lehramt, "wenn sie allein auf die Tatsache gründete,
die Gültigkeit der Lehre sei nicht offenkundig oder auf die Meinung, die
gegenteilige Position sei wahrscheinlicher. (n. 40) Ebensowenig ist das Urteil
des eigenen subjektiven Gewissens des Theologen ausreichend, weil dieses keine
autonome und exklusive Instanz ist, um über die Wahrheit einer Lehre zu
urteilen." (n. 28)
Die Berufung auf das eigene Gewissen
ist - so muß man fast annehmen - schon an sich suspekt, wie es die Benutzung
der Wahlkabine in den ehemals sozialistischen Ländern war. Die Instructio widmet dieser Frage eine bemerkenswerte Passage:
"Endlich kann auch der Hinweis, man müsse seinem Gewissen folgen, den
Dissens nicht rechtfertigen, denn diese Pflicht wird ausgeübt, wenn das
Gewissen das praktische Urteil im Hinblick auf eine zu treffende Entscheidung
klärt, während es sich hier um die Wahrheit einer Lehraussage handelt."
(n. 38) Es ist nicht so ganz deutlich, was dieser Satz meint, vermutlich aber
dieses: Weil es das Lehramt ist, das die Wahrheit einer Lehre garantiert, hat
das Gewissen des Theologen bei diesem Problem etwa so viel verloren wie bei der
Frage, ob 1 + 1 = 2 ist. Da die Verfasser offenbar selbst zweifeln, ob ihr Argument
durchschlagend ist, schieben sie noch eine Forderung nach: "Wenn ferner
der Theologe wie jeder Gläubige seinem Gewissen folgen muß, so ist er auch
gehalten, es zu bilden... Das richtige
Gewissen aber ist ein Gewissen, das durch den Glauben und das objektive
Moralgesetz erhellt ist und damit
auch den aufrichtigen Willen zum Erstreben des wahrhaft Guten
voraussetzt." (n. 38) Was das heißt, läßt sich erst erfassen, wenn man den
Umkehrschluß vollzieht: Einem Gewissen, das nicht vom Glauben und vom
objektiven Moralgesetz (wobei sich wieder einmal die Frage erübrigt, wer
definiert, was "objektives Moralgesetz" sei) erhellt ist, fehlt
logischerweise dieser "aufrichtige Wille zum Erstreben des wahrhaft
Guten". Es handelt sich darum um ein 'falsches' (weil irrendes) Gewissen,
auf das man sich selbstverständlich nicht berufen kann. Es heißt weiter:
"Daher setzt das richtige
Gewissen des katholischen Theologen den Glauben an das Wort Gottes voraus...,
aber auch die Liebe zur Kirche, von der er seine Sendung erhält und die Achtung
vor dem mit göttlichem Beistand ausgezeichneten Lehramt. Dem Lehramt der Kirche
ein oberstes Lehramt des Gewissens entgegenstellen, heißt den Grundsatz der
freien Prüfung vertreten, was aber mit der Entfaltung der Offenbarung und ihrer
Weitergabe in der Kirche sowie auch mit einer korrekten Auffassung der Theologie und der Funktion des Theologen
unvereinbar ist." (n. 38)
Zusammengefasst: Wer als katholischer
Theologe in Dissens mit dem Lehramt gerät, hat nicht das richtige Gewissen,
bzw. sein Gewissen nicht genügend gebildet; darum ist er kein richtiger
Theologe mehr.
Nun ist aber auch dem Lehramt nichts
Menschliches fremd, es weiß darum auch um die Unvollkommenheit des Theologen
und weist ihm - sollte er doch einmal aufgrund eines nicht genügend gebildeten
Gewissens in Dissens mit dem Lehramt geraten - den Weg zurück auf den rechten
Pfad.
Vorausgesetzt werden kann und muß in
einem solchen Fall zunächst, daß bei dem Theologen "die Grundhaltung einer
Bereitschaft... die Lehre des Lehramtes loyal anzunehmen" nicht leidet,
"denn dazu ist jeder Gläubige aufgrund seines Glaubensgehorsams
verpflichtet:." (n. 29) Helfen auch das selbstkritische Überdenken der
eigenen Ansichten und die von Kollegen vorgebrachten Einwände nichts, dann muß
er den "Lehrautoritäten" selbst "die Probleme" vorlegen (n.
30), was er natürlich im "tiefen Verlangen, die Schwierigkeiten zu überwinden"
tun wird. Auf diese Weise kann er das "Lehramt anregen, die Lehre der
Kirche gründlicher und besser begründet vorzulegen." (n. 30) Das heißt:
Die Aufgabe des Lehramtes ist eine didaktische. Die Möglichkeit, daß der Theologe
das Lehramt auf einen Fehler oder Irrtum aufmerksam machen könnte, ist nicht
denkbar und darum auch nicht vorgesehen. Äußerstenfalls könnte das Lehramt
versäumt haben, die Lehre so glasklar und unmißverständlich zu formulieren, wie
es wünschenswert wäre; wahrscheinlicher aber ist, daß die Beschränktheit des
Theologen einen gewissen Nachhilfeunterricht erforderlich macht.
Für den kaum glaublichen, geradezu
perversen Fall, daß der Theologe auf seinem abweichenden Standpunkt beharrt,
hat er weiterhin bereit zu bleiben, "die Frage gründlich zu
studieren" (dann wird ihm mit der Zeit vielleicht doch noch ein Licht
aufgehen) und er sollte darin einen "Aufruf zu schweigendem und betendem Leiden"
sehen, wobei ihm als Trost die Hoffnung auf den Weg gegeben wird, "wenn es
wirklich um die Wahrheit geht... (setzt sich) diese am Ende durch (n. 31) Das
ist zwar nicht so ganz logisch, weil die Wahrheit ja im Besitz des Lehramtes
ist und sich deshalb gar nicht mehr durchsetzen muß, aber es ist nicht nötig,
dem armen Theologen jede Hoffnung zu nehmen. Keinesfalls jedoch - und dieses
Anliegen ist den Verfassern so wichtig, daß sie es gar nicht genug betonen
können - wird der Theologe "auf die Massenmedien zurückgreifen, ... denn
durch das Ausüben von Druck auf die öffentliche Meinung (19) kann man nicht zur
Klärung von lehrhaften Problemen beitragen und der Wahrheit dienen." (n.
30) Warum das so ist? Nun, wie jedermann weiß, ist die öffentliche Meinung
durch die Medien "künstlich gesteuert" (n. 32) und "übt mit dem
Druck, sich konform zu verhalten... seinen Einfluß aus." (n. 32) (20) Weil
"die im Volke Gottes umlaufenden Ideen... leicht von einer öffentlichen Meinung beeinflußt
werden können" (n. 35), muß tunlichst vermieden werden, daß es "dem
Dissens" gelingt, "seinen Einfluß bis in die öffentliche Meinung
hinein auszudehnen", denn "das (kann) dem Volk Gottes nur schweren Schaden
zufügen und zur Mißachtung der wirklichen
Autorität führen." (n.34)
Die Geringschätzung des eigenen Volkes,
dem aufgrund seiner leichten Verführbarkeit und seiner mangelnden
Urteilsfähigkeit nicht zugetraut wird, sich selbst eine Meinung zu bilden, das
vielmehr vor schädlichen Einflüssen bewahrt werden muß, zeichnet die
"Verfassungsschützer" jeder Couleur aus.
Ebenso auch der panische Schrecken, den
der Gedanke an eine "systematische. .. Opposition" (n. 32) auslöst.
Solange es sich um Einzelgänger handelt, die Widerspruch anmelden, bekommt man
die Sache in den Griff, besonders, wenn man sie darauf festlegen kann, auf
Publizität zu verzichten und "die Lösung in einem vertrauensvollen Dialog
mit den Hirten" (n. 40) zu suchen. So bleiben Abweichler in der
Vereinzelung und damit fast zwangsläufig in dem Glauben gefangen, ihre Probleme
seien in ihrer Person und nicht in der Sache begründet. (21) Darum muß
eingehämmert werden: Es gibt nur eine "richtige" Solidarität, nämlich
die mit der Autorität, jede andere Solidarisierung ist verwerflich.
Die Instructio
erhebt darum mahnend die Stimme: "Schon wiederholt hat das Lehramt die
Aufmerksamkeit auf die schweren Schäden gelenkt, die für die Gemeinschaft der
Kirche aus jenen Haltungen systematischer Opposition entstehen, die sogar (!)
zur Bildung von organisierten Gruppen führen." (n. 32) Hier kann Pardon
nicht gegeben werden. Der einzelne Theologe, der im stillen Kämmerlein betend
leidet, verdient ein gewisses Mitgefühl. Aber der Abweichler, der das Licht der
Öffentlichkeit nicht scheut, dem bei dem Wort "Solidarität" nicht nur
eine polnische Gewerkschaft einfällt, der muß wissen, was er tut. Hier muß das
Volk Gottes geschützt werden, "damit es also nicht von einer gefährlichen
Sondermeinung verwirrt wird." (n. 37) Und das heißt: es müssen
"beschwerliche... Maßnahmen" ergriffen werden, als da sind: Entzug
der missio canonica oder des Lehrauftrags bzw.
Indizierung der Schriften. (n. 37) Daß die Vorgehensweisen der kirchlichen
Behörden hier "verbessert werden könnten" (22) heißt natürlich nicht,
"sie stünden im Gegensatz zu Recht und Gerechtigkeit. Hier von der
Verletzung von Menschenrechten zu reden ist fehl am Platz, denn man verkennt
dabei die genaue Hierarchie der Rechte..." (n. 37) Was wohl eine
Umschreibung dafür sein soll, daß die Rechte der Hierarchie die Hierarchie der
Rechte bestimmen.
Der gemaßregelte Theologe hat sich
darum die Folgen selber zuzuschreiben, schließlich hat er sich "in einen
Widerspruch zu seiner freiwillig und bewußt übernommenen Aufgabe (begeben), im
Namen der Kirche zu lehren." (n. 37)
Diese Instructio
setzt innerkirchlich Recht. Sie faßt einerseits die altbekannte Auffassung des
Lehramts über die Funktion der Theologie zusammen, andererseits führt sie
gewichtige Neuerungen so en passant ein, als handle es sich um bare
Selbstverständlichkeiten. Dabei ist sie jedoch ein zutiefst unjuristisch formulierter
Text, der nicht argumentiert, sondern diffamiert. Diese Diffamierungen bekommen
unter der Hand den Rang von justitiablen Kriterien. Andere Meinungen werden von
vornherein in einem Maß diskriminiert, wie dies derzeit nur noch bei
Verlautbarungen aus dem Raum des fundamentalistischen Islam bekannt ist. So
wird dem kritischen Theologen von vornherein unterstellt, sein "Geist der
Kritik" gründe in mangelndem Glaubenssinn und beruhe "eher auf aflektiven Gründen oder Vorurteilen" (n. 9). Der
Theologe, der in "Dissens" gerät, habe zugelassen, daß in ihm die
"Triebkräfte der Untreue gegen den Heiligen Geist" Oberhand gewonnen
hätten (n. 40). Angeblich stellt ein solcher Theologe - eben dadurch, daß er zu
denken wagt! - "dem Lehramt der Kirche ein oberstes Lehramt des
Gewissens" (n. 38) bzw. ein "paralleles Lehramt" (n. 34)
entgegen und setzt dadurch "die Verbindung mit Christus unwiderruflich
aufs Spiel" (n. 38). Keine dieser Unterstellungen wird differenziert oder
begründet. Es ist eben so, basta! Jede Bemühung um personale und rationale
Klärung gilt somit als verdächtig und wird in die Nähe des Unsittlichen
gerückt. (23) Der Theologe muß - heute wie vor hundert Jahren - das Opfer
seines Verstandes [sacrificium intellectus (24)]
bringen. Das provoziert viele Fragen.
Die erste ist eher rhetorisch: Was ist
der Unterschied zwischen den Marxismus-Leninismus-Fakultäten des ehemaligen
Ostblocks und katholisch-theologischen Fakultäten? Antwort: Die MIL-Fakultäten sterben aus!
Die zweite Frage wäre die, die sich die
Angehörigen der katholisch-theologischen Fakultäten selbst zu stellen hätten:
"Was will ich sein: TheologIn oder WissenschaftlerIn?" Aber man kann ziemlich sicher
sein, daß sich nur wenige diese Frage stellen werden. Die Instructio
wird kaum Gegenstand des Protestes sein; sie wird vielmehr von den Theologlnnen zum Gegenstand der Forschung gemacht werden.
Es wird akribische Text- und Quellenkritik getrieben werden; in irgendeinem
Artikel wird dann das Fündlein präsentiert, daß diese
oder jene Passage der Instructio auf den Einfluß
dieser oder jener Bischofsclique zurückgehe oder an welcher Stelle der Einfluß
welcher "Schule" zu erkennen sei. Die Verkennung des Spruches 'Wissen
ist Macht' ist so allgemein, daß es den TheologInnen
nicht übelgenommen werden darf, wenn sie glauben, die Kenntnis einiger Details
auf der Stufe des gehobenen Tratsches würde die Instructio
um ihre rechtliche und psychologische Wirkung bringen.
Intellektuelle Redlichkeit ist ein so
rares Gut, daß sie nicht ausgerechnet den TheologInnen
abverlangt werden kann, zumal dann nicht, wenn sie damit den Ast, auf dem sie
gut dotiert sitzen, absägen würden.
Aber: Nichts hindert uns, den katholischen TheologInnen die Gretchenfrage zu stellen: "Wie hältst
du's mit der Freiheit von Forschung und Lehre?" Und dabei auf einer
Antwort zu bestehen, die nicht nur unter vier Augen so dahingenuschelt wird,
daß kein "Verfassungsschützer" sie hören kann. Entweder der/die
Befragte verneint für sich und seine/ihre KollegInnen
die Geltung von Art. 5, Abs. 3 unserer staatlichen Verfassung oder bestreitet,
daß die Bestimmungen der Instructio auf TheologInnen an den katholisch-theologischen Fakultäten der
BRD gelten. Tertium non datur.
Und schließlich: Nichts hindert uns,
bei unseren Politikern nachzufragen,
wie sie unter den obwaltenden Umständen einen weiteren Verbleib der katholischen
Fakultäten an den vom Steuerzahler finanzierten Universitäten verantworten können.
Fragen kostet nichts. Aber könnte vielleicht eine Menge Geld sparen.
(1) Die "Instruktion über die
Kirchliche Berufung des Theologen" kann beim Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 5300 Bonn 1, bestellt werden. wir beziehen
uns auf diesen offiziösen Text.
(2) in n. 6 wird auch die Vernunft als
"Geschenk Gottes zum Erfassen der Wahrheit" bezeichnet.
(3) Diese und alle weiteren
Texthervorhebungen durch Ursula und Johannes Neumann.
(4) vgl. n. 1: "Gewiß übersteigt
die in der Offenbarung Gottes geschenkte Wahrheit die Fassungskraft der
Erkenntnis des Menschen, doch steht sie zur Vernunft des Menschen nicht im
Gegensatz. Sie durchdringt und erhebt diese vielmehr und appelliert an die
Verantwortung eines jeden Menschen."
(5) Vgl. u.a. n. 38.
(6) Jo 8.32. In der Instructio
zitiert u.a. in den nn. 1, 3, 41.
(7) vgl. ähnlich n. 35: "Auch wenn
es den Anschein haben kann, daß sie (gemeint: die Äußerungen des Lehramtes) die
Freiheit des Theologen beeinträchtigen, so richten sie durch die Treue zum
überlieferten Glauben eine tiefer
reichende Freiheit auf, die nur von der Einheit in der Wahrheit
herkommen kann."
(8) Der vollständige Text lautet:
"Die Freiheit des Glaubensaktes kann das Recht auf Dissens ebensowenig rechtfertigen.
Tatsächlich meint sie ja keineswegs die Freiheit gegenüber der Wahrheit,
vielmehr die freie Selbstbestimmung der Person im Sinn ihrer moralischen
Verpflichtung auf Annahme der Wahrheit. Der Glaubensakt ist ein Akt des
Willens, denn der durch Christus den Erlöser losgekaufte und zur Annahme an
Kindesstatt berufene Mensch kann Gott nur zustimmen, wenn er, gewiß 'vom Vater
gezogen', Gott das vernunftgemäße Geschenk seines Glaubens macht. Wie die
Erklärung 'Dignitatis humanae' in Erinnerung gerufen hat, besitzt keine
menschliche Autorität das Recht, hier durch Zwang oder Druck einzugreifen, denn
diese Entscheidung überschreitet die Grenzen ihrer Zuständigkeit, und die
Achtung vor dem Recht der Religionsfreiheit bildet die Grundlage für die
Achtung sämtlicher Menschenrechte. Man kann sich darum nicht auf diese Rechte
des Menschen berufen, um sich den Äußerungen des Lehramtes zu widersetzen."
(n. 36) Nach unserer Vermutung gehört der Satz "Man kann sich
darum..." unmittelbar nach "Verpflichtung auf Annahme der
Wahrheit." Der dazwischengeschobene Passus wirkt eher wie eine captatio benevolentiae gegenüber
dem Zeitgeist. Tatsächlich jedoch dient er der geschickten Verschleierung des
Problems.
(9) Das Gleiche klingt in n. 32 Abs. 2
nochmals an: "Zu den Faktoren, die entfernt oder indirekt ihren Einfluß
ausüben, muß man die Ideologie des philosophischen Liberalismus rechnen, die
auch die Mentalität unserer Zeit prägt. Von ihr her kommt die Tendenz zu
meinen, ein Urteil sei um so authentischer, je mehr es vom Individuum und
dessen eigenen Kräften ausgeht... Am Ende gilt die so verstandene Freiheit des
Urteils mehr als die Wahrheit selber. Es geht also um etwas ganz anderes als um
die berechtigte Forderung nach Freiheit im Sinn des Fehlens von Zwang als
Vorbedingung für ein loyales Suchen nach der Wahrheit. Wegen dieser
Notwendigkeit hat die Kirche immer daran festgehalten, daß 'niemand gegen
seinen Willen zur Annahme des Glaubens gezwungen werden darf'. "Wer lacht
da?"
(10) "Deswegen darf man auf sie
(gemeint: die Kirche) auch nicht schlicht und einfach Verhaltensmaßstäbe
anwenden, die ihren Seinsgrund in der Natur der bürgerlichen Gesellschaft oder
in den Regeln haben, nach denen eine Demokratie funktioniert. Noch weniger darf
man die Beziehungen im Innern der Kirche nach der Mentalität der Welt, die sie
umgibt, beurteilen." (n. 39)
(11) Sie ist höchstens insofern
interessant, als der Text der Instructio in diesem
Punkt deutlich macht, was man von dem Glauben der Gläubigen [von dem das II.
Vatikanische Konzil sagt: "Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die
Salbung vom Heiligen haben, kann im Glauben nicht irren" (n. 4)], hält,
nämlich genausoviel wie die staatlichen Verfassungsschützer von der Verfassungstreue
der Bürger. Es heißt: "Wenn sich daher der theologale
Glaube als solcher nicht irren kann, so kann doch der Gläubige irrige Meinungen
haben, weil nicht
alle seine Gedanken vom Glauben herkommen. (!! U. + J.N.) Die im Volk Gottes
umlaufenden Ideen stimmen nicht alle mit dem Glauben überein, zumal sie leicht
von einer öffentlichen Meinung beeinflußt werden können, die durch die modernen
Kommunikationsmedien gesteuert wird. Nicht ohne Grund betont das II.
Vatikanische Konzil die unauflösliche Beziehung zwischen dem 'sensus fidei' und der Anleitung des Volkes Gottes durch das Lehramt der
Hirten: Beide Wirklichkeiten lassen sich nicht voneinander trennen." (n.
35)
(12) Es soll nicht unterschlagen
werden, daß hier noch von der Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen als
Bedingung der Authentizität die Rede ist. Dies ist aber ohne Bedeutung, weil
der Papst zwar ohne Bischöfe "authentisch" und "unfehlbar"
lehren kann, aber die Bischöfe - ob einzeln oder in Versammlung - nicht ohne
den Papst.
(13) Etwa:" Die Sendung des
Lehramtes besteht darin, in einer mit dem 'eschatologischen'
charakter des Christusereignisses übereinstimmenden
Form den endgültigen Charakter des Bundes zu verkünden, den Gott in Christus
mit seinem Volk geschlossen hat." (n. 14) Der Aberwitz, wie das
"Christusereignis" - als endzeitliche Hoffnung - satzhaft
kodifiziert und beurteilt werden kann, wird das bestgehütete Geheimnis der
klerikalen Glaubensschützer bleiben!
(14) In Theologenkreisen wird dieser
Passus als Vorbereitung für eine zu erwartende neue "Pillenenzyklika"
gedeutet. Dafür spricht auch der anschließende Text: "Andererseits enthält
die Offenbarung selber moralische Lehren, die an sich von der natürlichen
Vernunft erkannt werden könnten, die aber aufgrund der sündigen Verfaßtheit des
Menschen schwer zugänglich sind. Es ist Glaubenslehre, daß diese moralischen
Normen vom Lehramt unfehlbar gelehrt werden können." (n. 16) Die Instructio beruft sich hierbei auf die Enzyklika 'Humanae
vita', eben jene Verlautbarung, die nun gestützt werden soll, weil sie unter
Theologen in Ihrer Verbindlichkeit umstritten ist. Wenn also das Lehramt z.B.
das Verbot empfängnisverhütender Mittel zur unfehlbaren Lehre erklären würde,
und die Gläubigen dies nicht verstünden, so wäre daran die Sündhaftigkeit
schuld, die ihren Verstand trübt. Es ist wohl klar, daß mit einer solchen
Argumentation jeder Einwand vom Tisch gewischt werden kann. Der derzeitige
Papst, dem mehr noch als allen seinen Vorgängern - allein? - die Sexualmoral am
Herzen liegt, hat am 12. November 1988 vor den katholischen Moraltheologen
festgestellt, daß seine Deutung der Sexualmoral die ethische Norm sei, die
nicht zur Diskussion gestellt werden dürfe. Dies hieße nichts weniger, als
"Gott selbst den Gehorsam unseres Verstandes zu verweigern. Es bedeutet,
daß wir das Licht unserer Vernunft dem Licht der göttlichen Weisheit vorziehen
und damit in die Finsternis des Irrtums fallen" (Herder-Korrespondenz
43,1989,125; vgl. F. Boeckle, "Humanae
vitae" und die philosophische Anthropologie Karol Wojtylas, in:
Herder-Korrespondenz 43, 1989, 374-380, hier: 375.)
(15) Eine solche Aussage ist z.B. das
Verbot des Gebrauchs von Kondomen für Aidskranke, wie sie von Rom bereits
häufiger, zuletzt von Papst Johannes Paul II. während seiner jüngsten
Afrikareise wiederholt mehr oder weniger eindeutig vertreten wurde. (Vgl. u.a.
DIE ZEIT Nr. 37 vom 7.9.90, S.1).
(16) Bei diesem Treueeid
handelt es sich um eine Errungenschaft aus dem Jahr 1989: Neue Eidesformel für
kirchliche Amtspersonen. veröffentlicht in: Herder-Korrespondenz 43,1989,
153f.; Acta Apostolicae Sedis
81,1989, 104f.. Er stellt die Wiederbelebung des Antimodernisteneids
von 1910 in verschärfter Form dar. (Vgl. J. Blank, Schwört überhaupt nicht!,
in: Orientierung 53, 1989, 97-99, P. Knauer, Der neue kirchliche Amtseid, in:
Stimmen der Zeit 208, 1990,93-101).
(17) vgl. S. 6. An anderer Stelle:
"Will der Theologe... seiner Aufgabe treu bleiben, muß er die dem Lehramt
eigene Sendung beachten und mit ihm zusammenarbeiten." (n. 20)
(18) Auch bei sorgfältiger Durchsicht
des gesamten Textes finden sich ausschließlich Aufforderungen bzw. Vorschriften
zu bestimmtem Verhalten, die an den Theologen gerichtet sind. Für das Lehramt
wird nicht eine einzige vergleichbare Aussage gemacht. Dieses kann nach Art
absoluter Fürsten vorgehen, ohne Verfahrensvorschriften eder
Verhaltensnormen beachten zu müssen.
(19) Gemeint ist wohl nicht ein
"Druck auf die öffentliche Meinung", sondern der durch eine
Veröffentlichung möglicherweise entstehende Druck, den die "öffentliche
Meinung" auf das Lehramt ausüben könnte.
(20) Es ist immer wieder faszinierend
zu sehen, wie gerade dort, wo am schamlosesten Druck zu konfomem
Verhalten ausgeübt wird, das Gezeter über die angebliche Manipulation der
öffentlichen Meinung am größten ist. Ohne Zweifel gibt es überall Manipulation.
Aber den Verfassern der Instructio fehlt jede
Fantasie, daß etwas anderes dahinterstecken könnte als "künstliche Steuerung"
oder "Druck", wenn Opposition sich regt. Dieser Mechanismus ist mit
dem Begriff "Projektion" am besten beschrieben.
(21) Daß es den Verfassern der Instructio um dieses Auseinanderdividieren geht, zeigt der
Passus über "Das Problem des Dissens" (nn.
32-41), der allein aufgrund seiner Länge einen Hinweis auf die Gewichtung gibt.
Es heißt da: "Hier soll vor allem von jener öffentlichen Oppositionshaltung
gegen das Lehramt der Kirche die Rede sein. Sie wird auch 'Dissens' genannt und
muß gut von einer Situation
persönlicher Schwierigkeiten unterschieden werden, von denen
weiter oben die Rede war." (n. 32)
(22) Im ganzen Dokument gibt es zwei
Aussagen, die einen Hauch von Selbstkritik spüren lassen. Dies hier ist die
eine. Wer weiß, wie Lehrbeanstandungsverfahren in der Weise von Geheimprozessen
geführt werden, wird die zartfühlende Umschreibung der Glaubenskongregation zu
würdigen wissen. Ähnliches gilt für die zweite Stelle: "In diesem Bereich
von Äußerungen der Klugheit (gemeint: des Lehramtes) ist es vorgekommen, daß
Lehrdokumente nicht frei von Mängeln waren. Die Hirten haben nicht immer gleich
alle Aspekte oder die ganze Kompliziertheit einer Frage erfaßt." (n. 24)
(23) Vgl.: D. Mieth,
Römische Rüstung oder amerikanisches Hemd? in: Orientierung 54, 1990,171-175.
(24) Vgl. Anm. 14 (Ende).
* Dr. iur. can. Johannes W. Neumann,
Diplom-Theologe, geb. 1929 in Königsberg. Seit 1966 Professor für Kirchenrecht
an der Universität Tübingen. 1970-1972 Prorektor/Rektor an der Universität.
Seit 1978 Professor für Soziologie; seit 1982 Sprecher des Forschungszentrums
für Lebenswelten behinderter Menschen. Viele kirchenrechtliche Abhandlungen -
darunter Grundriß des katholischen Kirchenrechts 1983/84 - und
Veröffentlichungen zur Sozialpolitik.
* Ursula Neumann,
geb. 1946. Diplom-Theologin und Diplom-Psychologin; seit 1985
freipraktizierende Psychoanalytikerin. Veröffentlichungen zu Fragen der
Kindererziehung, der sozialen Ursachen von Angst und Massenwahn und der
Symptomatik der Heiligen.
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