Rezension von Prof. Dr. Horst Herrmann (Münster)

Hubertus Mynarek, Die neue Inquisition. Sektenjagd in Deutschland (Marktheidenfeld 1999)

Veröffentlicht in Aufklärung & Kritik 2/1999, S. 193

Es kommt selten vor, daß ich ein Buch – mit höchstem Lob – zu besprechen habe, das zu den wenigen gehört, die ich selbst gern geschrieben hätte. H. Mynarek, seit Jahrzehnten als mutiger Mann ausgewiesen, behandelt ein Thema, das zwar in den letzten beiden Jahren etwas aus der öffentlichen Diskussion geriet, doch von bleibendem Interesse ist. Denn wer sich damit tröstet, daß keine Bösen mehr brennen, lügt sich in die eigene Tasche: Was den Jägern mittlerweile abhanden kam, sind allenfalls die äußeren Mittel, darunter jenes offenbar als effizientestes Erleuchtungsmittel gedachte Ketzerfeuer, nicht aber die ehrabschneiderische, verleumderische, mörderische Geistigkeit (kann, darf überhaupt, in diesem Zusammenhang von Geist die Rede sein?).

Wir mögen durchaus arglos sein gegen die paar Kritiker, die sich, um der historischen und aktuellen Gerechtigkeit willen, in ihren Büchern die Seele aus dem Leib schreien. Aber wir haben uns nach wie vor zu hüten vor Zeitgenossen, die sich zwar wortreich von Inquisition, Hexenverfolgung, Ketzerfolter distanzieren, als hätten sie seinerzeit nicht gerne mitgezündelt, als wären sie nicht die Erben des Ungeistes! Sie sind es nämlich, die mit allgemeinen staatlichen wie großkirchlichem Segen eben jene neuen Formen der Jagd auf Abweichler etablieren, deren Haltet-den-Dieb-Mentalität Mynareks bleibendes Standardwerk so prägnant entlarvt.

Ich rate, sorgfältig auf solche Edelmenschen zu achten und ihnen – wesentlich häufiger und öffentlicher als bisher! – zu wehren: Sie teilen Gut und Böse nach eigenem Gusto, und es ist keine Frage wert, auf welche Seite sie sich selbst stellen. Sie hetzen zu Kreuzzügen auf (die modernsten Methoden stellt Mynarek detailliert und überzeugend dar). Sie zählen, nicht zuletzt aufgrund ihrer Staatsideologie, zu den gefährlichsten Feinden der Demokratie. Ihr Absichten spalten die Gemeinschaft aller in akzeptable und vogelfreie Mitglieder. Ihr gutes Gewissen macht sie wie eh und je potentiell kriminell.

Umgekehrt gedacht: Hätte Kant je die Polizei, Nietzsche den Staatsanwalt gerufen? Wer auf Geist baut, weiß doch, daß Wahrheit auf Gewalt verzichtet. Und wer zu denken lernte, haßt nicht mehr.

Spreche ich von "wir", habe ich im übrigen nicht nur uns im Sinn, die wir Blätter schätzen, in denen Bücher wie das vorliegende überhaupt rezensiert werden. Ich meine, indem ich sie ausnahmsweise eingemeinde, auch jene Staatsanwälte, Richter, Verfassungsschützer, die sich im Dienst eines weltanschaulich neutralen Gemeinwesens um die (Straf-)Verfolgung von Sektenangehörigen kümmern. Ihnen empfehle ich, auch wenn ich nur wenig Erfolg verspreche, die Lektüre dieses einen Buches, das kenntnisreich und engagiert den Zustand beschreibt, den die geistige Verwahrlosung in diesem unserem Land erreichte. Mynareks Werk gehört in jede Bibliothek, und wer Jugendlichen einen Dienst erweisen will, halte sie an, dieses Buch zu lesen. Sie lernen daraus mehr über die innere Gefährdung der Demokratie als aus einem Dutzend Verfassungsschutzberichten.



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