Prof. Dr. Christof Kellmann (München)

Don Quichotte und die Monopole

Eine kritische Betrachtung zum Sinn des Kartellgesetzes

aus: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 17.03.1987 Nr. 63, Seite 24

Wenn sich in der Wirtschaft Konzentrationsgelüste, vor allem sog. "Elefanten-Hochzeiten" abzeichnen, das Kartellamt daraufhin drohend den Finger erhebt und unter dem Beifall der Medien am Ende Bußgelder in Millionenhöhe verhängt, dann erfährt der Normalbürger, daß wieder einmal eine Schlacht zur Verteidigung des "Wettbewerbs" gegen die "Zusammenballung wirtschaftlicher Macht", gegen "Marktbeherrschung" und "Monopole" geschlagen wird. Dieser stets wiederholte Refrain aus Schlagworten hat eine lange Tradition. Bereits die Väter des Kartellgesetzes (GWB) wußten "wegen unlösbarer Schwierigkeiten" nicht zu sagen, was sie mit ihrem Gesetz eigentlich wovor schützen wollten: Der Begriff "Wettbewerb" blieb daher ebenso undefiniert wie sein Gegenstück "Wettbewerbsbeschränkung/Marktbeherrschung".

Geht man weiter zurück, so stößt man auf Preistheorie und Marktformenlehre der Nationalökonomie, insbesondere auf die Thesen der "ordoliberalen" Schule. Dieselben Schlagworte auch hier (und zur Begründung entsetzlich viel Widersprüchliches). Wettbewerb, so wird aber einmütig versichert ist gut, Monopole sind schlecht, dazwischen steht das Oligopol. Modelltheoretisch "vollkommen" ist der Wettbewerb, wenn die Zahl selbständiger Anbieter gleicher Güter unendlich groß, die Anbieter selbst somit unendlich klein sind (atomistische Konkurrenz). Was ist davon zu halten?

Angenommen, A produziert als einziger Hosenknöpfe. Da er die Absicht hat, in Ausschöpfung seiner Kapazitäten maximalen Profit zu machen, steht er vor folgendem Dilemma. Produziert er zu wenig (im Extremfall nichts), verdient er zu wenig bzw. nichts. Steigert er seine Produktion, dann fallen die erzielbaren 'Preise (am Ende soweit, daß nicht einmal mehr seine Kosten gedeckt sind). Auch darf A seine Kapazitäten nicht überstrapazieren, weil sich sonst zu fallenden Preisen auch noch steigende Selbstkosten gesellen. Irgendwo zwischen den Extremen von Null- und Überproduktion liegt die für A ideale Menge, sein Gewinnmaximum, das er genau dann erreicht, wenn sich die zusätzlichen Kosten je Stück mit dem zusätzlichen Erlös pro Stück decken (sog. Cournotscher Punkt).

Wir wollen annehmen, daß A sein Gewinnmaximum mit 1000 Stück/Tag erreicht. Nunmehr wittert auch B das Geschäft und macht dem A "Konkurrenz" mit, sagen wir, weiteren 1000 Stück/Tag, womit auch B sein Gewinnmaximum erreicht. Ergebnis: Das Monopol A ist einem Oligopol, bestehend aus A und B, gewichen. Der Preis pro Knopf fällt, weil sich das Angebot verdoppelt. Wenngleich A seine bisherige Produktion jetzt etwas zurücknehmen wird (sein Grenzerlös sinkt), dürfen wir uns freuen. Umso mehr, wenn sich noch weitere Knopfmacher anhängen und so allmählich ein Polypol entsteht. Wettbewerb (= Vielzahl selbständiger Anbieter) ist also gut?

Dieser Schluß liegt nahe. Tatsächlich ist es der übliche Fehlschluß. Zunächst ist der Preis nicht deswegen gefallen, weil B selbständig ist, sondern nur deswegen, weil sich die Menge der angebotenen Knöpfe verdoppelt hat. Ist die Verdoppelung der Menge aber nicht gerade deswegen eingetreten, weil B selbständig ist? - Wieder falsch. Wenn A und B ihr Gewinnmaximum einzeln mit insgesamt 2000 Stück erreichen, so erreichen sie es natürlich auch gemeinsam mit 2000 Stück. 2000 Stück würden also auch dann produziert, wenn B sich von vorneherein mit A zusammengetan, seine zusätzlichen Kapazitäten also in eine "A & B oHG/KG/GmbH/AG" eingebracht hätte. Nichts würde sich ändern, wenn sich beide zu einem späteren Zeitpunkt zusammentun oder der eine dem anderen seinen Betrieb abkauft. Gleichgültig, ob A und B getrennt oder vereint agieren: die Kapazitäten beider kommen den Kunden so oder so zugute, da A und B stets das nach den Umständen erreichbare Gewinnmaximum erzielen wollen. Marschieren sie getrennt, produzieren sie das Doppelte, marschieren sie zusammen, ebenfalls.

Das ganze Geheimnis besteht darin, daß zwei und mehr Schultern - vereint oder getrennt - mehr tragen und leisten können als eine. Wenn mehrere zusammenarbeiten, kommt oft sogar mehr dabei heraus. Schaden tut ein Zusammenschluß jedenfalls nie! Das Kartellamt kämpft gegen Windmühlen, wenn es partout trennen und auseinanderhalten will. Konkret: Wenn etwa die Firma Metro die Hurler-Märkte (HUMA, SUMA) hinzuerwirbt (SZ Nr. 25/87), so wird sie die zusätzlichen Kapazitäten genauso nutzen und nutzen müssen wie vorher der Herr Hurler, dessen Gewinne sie sonst nicht erreichen würde. Vielleicht gelingt ihr das eine oder andere sogar besser, vielleicht auch schlechter. Wir brauchen keine Millionen verschlingende Bürokratie, die darüber - aus dem Kaffeesatz lesend - schiedsrichtert.

Gehören nicht zumindest Kartelle, vor allem die Preisabsprachen, verboten? Auch das klingt plausibel, ist es aber nicht: die Abstimmung einiger statt aller marktbezogenen Aktionsparameter (z.B. nur hinsichtlich des Preises) ist nur ein Minus gegenüber der Konzentration, somit ebenso harmlos wie diese.

Nehmen wir an, A und B schmieden in der Hoffnung, daß es ihnen nützen könnte, ein Komplott mit dem Inhalt, ihre Preise um 20% zu erhöhen. Sie werden sehr schnell feststellen, daß sich diese Maßnahme negativ auf ihren Absatz auswirkt und ihren Gewinn schmälert, weil sie von jetzt an ihr Gewinnmaximum verfehlen. Sie schaden sich also selbst. Die Freiheit, das auszuprobieren, kann man ihnen getrost lassen. Hatten sie vorher (z.B. durch Überproduktion) ihr Gewinnmaximum verfehlt, kann und wird jeder für sich allein den Ausstoß reduzieren, womit die Preise von selber steigen. Eine Absprache ist überflüssig. Ob getrennt oder vereint - den Marktgesetzen kann niemand entrinnen! Der Zusammenbruch des Ölkartells bestätigt diese Zusammenhänge: man hat sich selbst bleibenden Schaden zugefügt und den Konkurrenten, darunter dem Nordsee-Öl, ungeahnte Vorteile verschafft. Die Weltwirtschaft funktioniert ohne Kartellamt.

Kartelle können sich überhaupt nur halten, wenn ihre Einhaltung gesetzlich erzwungen wird, was tatsächlich vorkommt: Das Ladenschlußgesetz erürbrigt kundenfeindliche Absprachen der Ladeninhaber, ist somit nichts anderes als ein staatlich verordnetes Zwangskartell. Die Abschaffung allein dieses Gesetzes würde dem Nachfrager mehr helfen als alle Aktivitäten sämtlicher Kartellbehörden zusammen.

Fast vergessen ist, daß unser Wirtschaftssystem nicht auf dem Kartellgesetz, sondern auf der Berufs- und Gewerbefreiheit basiert, die im Schatten des vordergründigen Getöses um Kartelle und Monopole zunehmend untergraben wird. Newcomer sind meistens lästig, da man den Kuchen mit ihnen teilen muß. Also wird versucht, den Gesetzgeber unter allerlei Vorwänden zur Einführung und Verschärfung von Marktzutrittsschranken zu überreden. Allein die Handwerks-Ordnung kennt nicht weniger als 125 Handwerke, deren Betrieb ohne Meistertitel verboten ist, darunter das Handwerk der Bürsten- und Pinselmacher, Sticker, Stricker, Modisten, Handschuhmacher, Hut- und Mützenmacher, Wachszieher, Gebäudereiniger, Photographen, Vergolder, Maurer, Thermometermacher usw. Die neueste Erfindung ("Arzt im Praktikum") ist fraglos auch deswegen willkommen, weil sie der wortreich beklagten "Medizinerschwemme" entgegenwirkt. Adam Smith würde sich die Haare raufen. Er hat angesichts des Privilegien- und Zunft(un)wesens seiner Zeit kein Kartellgesetz, sondern Gewerbefreiheit gefordert. Es ist an der Zeit, das gesamte Berufs- und Gewerberecht zu durchforsten, alles, was nicht wirklich notwendig ist, abzubauen sowie gegenüber den Berufsverbänden, die stets weitere Regularien fordern, Zurückhaltung zu üben.

Noch ein Wort zum Schlagwort "wirtschaftliche Macht". Macht hat jemand, der seinen Willen anderen aufzwingen kann. So gesehen hat jeder einzelne Gerichtsvollzieher, Polizeibeamte, Richter, Abgeordnete, Wahlberechtigte mehr Macht als der größte Monopolist der westlichen Welt.

Kartellämter dürften ein Novum in 2000 Jahren Menschheitsgeschichte sein. Die Römer haben ihre Straßen, Arenen, Aquädukte und Paläste ohne Kartellamt gebaut. Das Mittelalter brauchte keine Kartellamt, um Schlösser, Städte, Kathedralen zu errichten. Heute leisten wir uns damit einen kostspieligen Don Quichotte, dessen Schaukämpfe ihr Geld nicht wert sind.



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