Dr. Armin Pfahl-Traughber

"Antiamerikanismus", "Antiwestlertum" und "Antizionismus"

Definition und Konturen dreier Feindbilder im politischen Extremismus

Veröffentlicht in Aufklärung & Kritik, 1/2004, S. 37-50

 

1. Einleitung und Problemstellung

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten". Mit dieser Aussage reagierten direkt oder indirekt viele Islamisten, Links- und Rechtsextremisten auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington. Trotz einer zumindest verbalen Distanzierung von den angewandten Mitteln sah man die damit verbundenen politischen Ziele als legitim an.(1) In dieser Einstellung offenbarte sich ein Konsens, der auch bei der Kommentierung anderer Ereignisse der letzten Jahre (z.B. Kosovo-Intervention, Nahost-Konflikt, Irak-Krieg) bei den verschiedenen Varianten des politischen Extremismus ausgemacht werden kann. Dabei ließen sich nicht nur "Antiamerikanismus", sondern auch "Antiwestlertum" und "Antizionismus" als gemeinsame Auffassungen feststellen: Pauschal wurden die USA als imperiale Macht mit dem Ziel der Weltherrschaft, der Westen als gegen die Völker gerichtete individualistisch-kapitalistisch durchdrungene Gesellschaftsordnung und Israel als allein Verantwortlicher für den jahrzehntelangen blutigen Nahost-Konflikt hingestellt.

Derartige Einschätzungen können sich teilweise auf tatsächliche politische Vorkommnisse stützen oder werden auch von Teilen des demokratischen Meinungsspektrums geteilt. Insofern findet man in den öffentlichen Diskursen die Vermischung von Bestandteilen des "Antiamerikanismus" mit einer Kritik der US-Politik, des "Antiwestlertums" mit einer Kritik an der Politik des Westens und des "Antizionismus" mit einer Kritik an der israelischen Politik. Trotz der mitunter ähnlichen oder gleichlautenden Aussagen läßt sich aber eine klare Trennlinie zwischen diesen Positionen ziehen. Entscheidendes Kriterium dafür ist die Akzeptanz der Minimalbedingungen eines demokratischen Verfassungsstaates: Eine extremistische Kritik an "Amerika", am "Westen" oder am "Zionismus" stellt deren Regelungsmechanismen oder Wertvorstellungen in Frage, während sich nicht-extremistische Kritik an den USA, dem Westen und Israel auf der Grundlage von Demokratie, Konstitutionalismus, Gewaltenteilung, Menschenrechten und Pluralismus bewegt.

Die Ablehnung dieser Prinzipien als Ausdruck des "nicht-kontroversen Sektors" (Ernst Fraenkel)(2) oder "übergreifenden Konsenses" (John Rawls)(3) in demokratischen Rechtsstaaten und offenen Gesellschaften bildet das Kriterium, um vom Extremismus als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen zu sprechen.(4) Sie können hinsichtlich einer islamistischen, links- und rechtsextremistischen Variante unterschieden werden. Über die Gemeinsamkeit der Ablehnung der Minimalbedingungen eines demokratischen Verfassungsstaates hinaus verfügen sie aber auch über Gemeinsamkeiten struktureller Art. Hierzu gehören Absolutheitsansprüche, Dogmatismus, Homogenitätsforderungen und Kollektivismus, aber auch Dualismus und Feindbilder.(5) Um diesen letztgenannten Aspekt soll es hier bezogen auf die drei bereits genannten konkreten Auffassungen gehen, wobei zunächst einmal eine genauere Definition von Feindbildern im besonderen Kontext des politischen Extremismus vorgenommen werden muss:

Ein Feind bildet einen besonders intensiven Gegensatz zu einer als Bezugspunkt geltenden bestimmten Position, wodurch Möglichkeiten der Kompromissbildung und des Konsenses im Sinne einer möglicher Kooperation ausgeschlossen sind.(6) Gegenüber einem Gegner bestehen derart grundlegende Differenzen nicht, wodurch bei allen Unterschieden eine berechenbare und geregelte Zusammenarbeit potentiell realisierbar wäre. Im Sinne dieses Begriffsverständnisses kennen auch demokratische Verfassungsstaaten (innen-)politische Feinde, hier in Gestalt der unterschiedlichen extremistischen Bestrebungen, die sich gegen dessen grundlegende Wertvorstellungen richten. Aus einem normativen Bekenntnis zu ihnen heraus muss daher der im öffentlichen Diskurs negativ belegte Begriff "Feind" keineswegs pauschal abgelehnt werden, würde doch die Ignoranz gegenüber den Aktivitäten antidemokratischer Strömungen auch zur Blindheit gegenüber den von ihnen ausgehenden Gefahren führen.

Im Unterschied zu dem mitunter auch bei Anhängern des demokratischen Verfassungsstaates feststellbaren Freund-Feind-Denken besteht im politischen Extremismus eine besonders rigide Einteilung in das absolut Gute und das absolut Böse, die weder Differenzierung noch Kompromissbildung kennt. Es handelt sich vielmehr um hochgradig ideologisch aufgeladene Feindbilder, erfolgt doch eine Projizierung aller negativen Eigenschaften in das jeweils konkret angesprochene Objekt. Derartige Auffassungen dienen den unterschiedlichen extremistischen Bestrebungen erstens als ideologisch verzerrtes Erkenntnisinstrument, lassen sich so doch alle beklagten Übel als Resultat des Wirkens eines bestimmten Feindes deuten, zweitens als durch Abgrenzung möglicher Identitätsfaktor, der die Zugehörigkeit zur jeweiligen eigenen Position festigt und stärkt, und als propagandistisch verwendbares Mobilisierungsmittel, das zur Gewinnung von neuen Anhängern und Sympathisanten genutzt werden kann.

Als solche Feindbilder gelten im politischen Extremismus neben anderen "Amerika" ("Antiamerikanismus"), der "Westen" ("Antiwestlertum") und der "Zionismus" ("Antizionismus"). Eine sinnvolle und trennscharfe Begriffsbestimmung der damit verbundenen Einstellungen steht vor mehreren Problemen: Es gibt keinen allgemeinen Konsens über das konkret Gemeinte und zwar sowohl bezogen auf die Auffassungen über das jeweils Abgelehnte wie über die ablehnende Einstellung. Darüber hinaus werden die Bezeichnungen auch als politische Kampfbegriffe benutzt, etwa zur Diffamierung eines innerdemokratischen Gegners als Anhänger derartiger Feindbilder oder zur Immunisierung gegenüber Kritik an den USA, dem Westen und Israel. Und schließlich muss zwischen einer demokratischen Kritik und den extremistisch motivierten Feindbildern unterschieden werden, was sich angesichts der bei unterschiedlicher politischer Grundposition doch mitunter gleichlautenden Auffassungen zu aktuellen Ereignissen als überaus schwierig gestaltet.

Um trotzdem die angesprochenen Feindbilder definitorisch möglichst exakt zu erfassen, müssen verschiedene analytische Schritte vollzogen werden: Zunächst bedarf es einer Definition des Abgelehnten, also des konkret mit "Amerikanismus", "Westlertum" und "Zionismus" gemeinten, wodurch auch der innere Kern des als Feind geltenden besser erfasst werden kann. Dem folgt eine formale und inhaltliche Betrachtung des konkreten Feindbildes, einerseits bezogen auf die Zuspitzung von Aversionen zu stereotypen Klischees und rigiden Verdammungen, andererseits hinsichtlich der demokratie- bzw. extremismustheoretischen Dimension in der artikulierten Kritik. Hierbei wird es auch immer wieder um die Unterscheidung von realistischer Kritik und ideologischen Zerrbildern gehen. Und schließlich bedarf es auch einer ideenhistorischen Betrachtung der Entstehung und Entwicklung der genannten Feindbilder, die auch Zuordnungen zu politisch-ideologischen Traditionslinien ermöglicht.

2. "Antiamerikanismus"

Bevor der Begriff "Antiamerikanismus" erläutert werden soll, bedarf es zunächst einer Definition des mit dieser Einstellung Abgelehnten, nämlich des "Amerikanismus". Dabei handelt es sich um keine inhaltlich ausgearbeitete politische Theorie, die gleiche Eigenständigkeit wie etwa der Konservativismus, Liberalismus oder Sozialismus beanspruchen kann. Vielmehr soll unter "Amerikanismus" eine Sammelbezeichnung für die unterschiedlichsten Aspekte des Selbstverständnisses der USA, bezogen auf Geschichte, Kultur, Politik und Wirtschaft, verstanden werden.(7) Historisch betrachtet handelte es sich bei dem Land um den ersten institutionalisierten demokratischen Verfassungsstaat, der auch die Menschenrechte konstitutionell verankerte. Für das gesellschaftliche Leben bestanden folgende Besonderheiten: die Abwesenheit von Ständen, die soziale Durchlässigkeit, die positive Bewertung des Strebens nach individuellem Glück und materiellem Reichtum und das erstmalige Vorhandensein einer demokratischen Massengesellschaft.

Es gab allerdings auch einen im unterschiedlichen Ausmaß vorhandenen Gegensatz zwischen den Idealen des "Amerikanismus" und der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den USA: Die als unveräußerlich angesehenen Menschenrechte wurden lange Zeit den Schwarzen zunächst durch die Sklaverei, später durch die Einschränkung von Rechten vorenthalten. Die Beschwörung sozialer Egalität und wirtschaftlicher Freiheit verhinderte nicht eine neue Hierarchisierung der Gesellschaft, die zu einer stark divergierenden Verteilung von Besitz und Reichtum führte. Der missionarische Anspruch, der Menschheit als Wegweiser für Demokratie, Fortschritt und Humanität zu gelten, schlug mitunter in die Praxis imperialer Machtpolitik oder die Unterstützung repressiver Regime um. In all diesen Fällen bestand und besteht ein Gegensatz zu den ansonsten als Prinzipien geltenden Werten des "Amerikanismus", woraus sich auch ein wichtiges Kriterium für die Unterscheidung von "Antiamerikanismus" und Kritik an den USA ergibt.

Ein solches wurde in der bisherigen Fachliteratur zum Thema allerdings nicht klar herausgearbeitet. Der Historiker Dan Diner, Autor der bislang einzigen deutschsprachigen Gesamtdarstellung(8) zum "Antiamerikanismus"(9), entzieht sich einem solchen Anspruch mit dem ansonsten zutreffenden Hinweis: "Die Unterscheidung zwischen amerikanischer Realität und antiamerikanischer Phantasie wird allein schon dadurch erschwert, dass sich die weltanschauliche Verzerrung an die Fährte durchaus realer Phänomene zu heften weiß."(10) Lediglich mit dem Hinweis auf die inhaltliche Zuspitzung in Gestalt eines Ressentiments des Antiamerikanismus wird ansatzweise ein formaler Gesichtspunkt der Unterscheidung genannt.(11) In eine ähnliche Richtung gehen die Bemühungen des Historikers Günter Moltmann, der mit "Antiamerikanismus" keine sachlichen Differenzen, sondern "Vorurteile, nationalistische Klischees, undifferenzierte Pauschaläußerungen und extreme Verdammungen"(12) verbindet.

Es sollte allerdings selbst zwischen einer überspitzten Kritik an den USA und der Position des "Antiamerikanismus" ein sich auch in der Begriffswahl artikulierender Unterschied gemacht werden. Hierzu kann der demokratietheoretische Hintergrund der vorgetragenen Einwände und die damit zusammenhängende politische Zielrichtung dienen. Es stellt sich dann jeweils die Frage, ob die mitunter auch heftig vorgetragene Kritik an den USA auf den verschiedensten Politikfeldern sich auch gegen die Grundlagen des politischen Systems in Gestalt der Wertvorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates richten. Damit würden nicht nur angebliche oder tatsächliche Deformierungserscheinungen und Fehlentwicklungen des "Amerikanismus" kritisiert, sondern auch die allen anderen liberalen Demokratien eigenen tragenden Prinzipien abgelehnt. In einem solchen Verständnis steht hinter dem "Antiamerikanismus", so auch die Auffassung der Politologin Gesine Schwan, eine "undemokratische Einstellung" und Ablehnung des Kerns von "Amerikanismus".(13)

Diese politische Stoßrichtung lässt sich auch bei der Betrachtung der historischen Entwicklung(14) immer wieder ausmachen, ist doch der "Antiamerikanismus" in diesem Sinne genauso alt wie die USA selbst. Erste diesbezügliche Vorstöße gingen von den europäischen Monarchien aus, sahen sie doch in den amerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber dem englischen Mutterland eine Gefahr für die Fortexistenz der Herrschaftsordnung von "Thron und Altar". Nach der politischen Etablierung der USA und der Entwicklung der dortigen Gesellschaft entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein insbesondere von Vertretern der deutschen Romantik, aber auch von enttäuschten Emigranten geprägtes negatives Amerikabild, das insbesondere Gleichmacherei, Kulturlosigkeit, Lebensmonotonie, Materialismus und Mittelmäßigkeit als prägende Erscheinungsformen der dortigen Gesellschaft ansah. Die damit zusammenhängenden Vorwürfe der Nivellierung und Pöbelherrschaft standen dabei für die antidemokratischen Einstellungen.

An derartige Behauptungen knüpfte das Amerikabild des politischen Konservativismus seit Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts an, wobei die angeblichen Gegensätze von Gemeinschaft und Gesellschaft, Individualismus und Persönlichkeit, Hierarchie und Nivellierung, Kultur und Zivilisation im Zentrum standen. Der Nationalsozialismus fügte diesen Einstellungen nur noch den Antisemitismus bezogen auf die angebliche jüdische Herrschaft in den USA hinzu. Inhaltlich anders motiviert war indessen der "Antiamerikanismus" der extremistischen Linken in Gestalt der Weimarer KPD, die in den USA lediglich das Land des vorwärtsdrängenden Kapitalismus sah und sich dabei von den weitaus wohlwollenderen Auffassungen gegenüber dem Land in der früheren Arbeiterbewegung distanzierte. Der Linksextremismus der Nachkriegszeit knüpfte an dieses Verständnis in Verbindung mit einer Kritik an der als imperial geltenden US-Außenpolitik an, ohne den Eigenwert des dort bestehenden demokratischen Verfassungsstaates in der Agitation auch nur zu thematisieren.(15)

In der islamisch geprägten Welt des arabischen Raumes bestand bis Mitte des 20. Jahrhunderts kein eigenständiges Amerikabild von größerer gesellschaftlicher Bedeutung. Erst nach der Entkolonialisierung bildete sich ein breiter entwickelter "Antiamerikanismus" heraus, galten die USA doch als Nachfolger der europäischen Kolonialmächte und als Unterstützter des Staates Israel. Reale Ansatzpunkte für damit zusammenhängende Zerrbilder bot die mit den wirtschaftlichen Interessen zusammenhängende Nahost-Politik der USA, die hinsichtlich des Umgangs mit verschiedenen dortigen Systemen als Ausdruck von "Doppel-Moral" angesehen wurde. Die damit verbundene einseitige Wahrnehmung führte zu einer Verdammung von als westlich geltenden Werten, deren eigenständige Bedeutung zur Regelung sozialen Miteinanders unabhängig von der Wahrnehmung der USA nicht mehr gesehen wurde. In der Folge dieser Entwicklung entstand ein Zerrbild des Landes, galt "Amerika" doch fortan als für alle Übel verantwortlich.

3. "Antiwestlertum"

Während die Begriffe "Amerikanismus" und "Antiamerikanismus" bzw. "Zionismus" und "Antizionismus" im politischen Sprachgebrauch trotz aller Probleme einer trennscharfen Definition etabliert sind, kann dies von den Bezeichnungen "Westlertum" und "Antiwestlertum" nicht gesagt werden. Im Grunde genommen handelt es sich um die Wortschöpfungen zweier Publizisten, Richard Herzinger und Hannes Stein, die sie in einer polemischen Streitschrift mit dem Titel "Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler"(16) vornahmen. Eine Definition von "Westen" bzw. "Westlertum" als dem hier zunächst als Abgelehntes inhaltlich zu Bestimmendem findet sich darin allerdings nicht. Vielmehr gingen Herzinger und Stein davon aus, dass die hierfür ausschlaggebenden Werte des Westens nicht substantialistisch definierbar, sondern inhaltlich neutral seien.(17) Gerade das Fehlen einer umfassenden politischen Theorie und das Vorhandensein eines Regelmechanismus gestatte erst Offenheit und Pluralismus in der Gesellschaft.

Darin sah auch der Erkenntnistheoretiker Karl R. Popper die Besonderheiten und Vorzüge westlicher Demokratien: "Unser Stolz sollte es sein, dass wir nicht eine Idee haben, sondern viele Ideen, gute und schlechte; dass wir nicht einen Glauben haben, nicht eine Religion, sondern viele, gute und schlechte. Es ist ein Zeichen der überragenden Kraft des Westens, dass wir uns das leisten können. Die Einigung des Westens auf eine Idee, auf einen Glauben, auf eine Religion, wäre das Ende des Westens, unsere Kapitulation, unsere bedingungslose Unterwerfung unter die totalitäre Idee."(18) Eng verknüpft ist diese Vielfalt mit dem Verzicht auf den Anspruch absoluten Wissens, der sich seit der griechischen Antike durch die Ideengeschichte zieht. Das berühmte Wort des Sokrates, "Ich weiß, dass ich nichts weiß.", ist nicht Ausdruck eines philosophischen Wortspiels, sondern Einsicht in die Unsicherheit und Vorläufigkeit des Wissens. Insofern besteht die als interkulturell und universalistisch anzusehende Idee des Westens nicht in einem Inhalt, sondern in einer Methode.

Sie beansprucht, alle Auffassungen über die unterschiedlichsten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einer ständigen "kritischen Prüfung" (Hans Albert)(19) hinsichtlich der inhaltlichen Schlüssigkeit und empirischen Stimmigkeit zu unterziehen. Dies bedeutete auch die Infragestellung von breit verankerten Mythen und Traditionen. Gerade der damit verbundene Prozess der Kritik und Innovation er-möglichte den politischen, sozialen, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt im Westen. Gleichwohl dürfen die damit zusammenhängenden Prinzipien der Aufklärung und Prüfung nicht allein als westliche Werte im geographischen und kulturellen Sinne verstanden werden, sie konnten sich aber in den Gesellschaften dieses Raumes im Unterschied zu anderen Kulturen gesellschaftlich am erfolgreichsten durchsetzen. Der damit verbundene jahrtausendelange Prozess erfolgte allerdings nicht im Sinne einer "geraden Linie", sondern stand erheblichen Widerständen in Form von Dogmen und Herrschaftsstrukturen entgegen.

Hierzu gehörten etwa die seit dem Mittelalter in Europa vorherrschenden Gesellschaftsordnungen von "Thron und Altar", die im Namen einer angeblich natürlich bedingten Regentschaft und eines als absolut gesetzten Glaubens die Möglichkeiten von Erneuerung und Weiterentwicklung blockierten. Erst durch das Vordringen der Ideen der Aufklärung und Wissenschaft ließen sich diese Tendenzen zunächst geistig, später auch politisch zurückdrängen. Der damit verbundene Prozess verlief allerdings vielschichtig und widersprüchlich, entstand doch etwa im Kontext der Französischen Revolution mit der Absolutsetzung einer selektiven Vernunftinterpretation auch ein neuer Fanatismus mit diktatorischen Konsequenzen. An diese Tendenzen knüpfte ein gewichtiger Teil des Marxismus später an, führte dessen Dogmatisierung doch zur Etablierung einer neuen Herrschaftsideologie, die behauptete, die Gesetze der Geschichte erkannt zu haben und sich den Möglichkeiten einer kritischen Prüfung entziehen zu können.

Gerade der hierbei deutlich werdende Anspruch der absoluten und totalen Erkenntnis führte auch zum Anspruch auf die absolute und totale Herrschaft, bestand und besteht doch ein direkter Zusammenhang zwischen Erkenntnistheorie und Gesellschaftsgestaltung.(20) Die Auffassung von der Fehlerhaftigkeit und Vorläufigkeit menschlichen Erkennens und Wissens bedingt auch die Offenheit und Veränderbarkeit gesellschaftlichen Gestaltens und Lebens. Dafür können eben keine absolut gültigen und breiter entwickelten Vorgaben gemacht werden, würde dies doch letztendlich auch dem Pluralismus als Strukturprinzip widersprechen. Insofern sind dem "Westen" bzw. "Westlertum" lediglich formale oder negative Besonderheiten eigen: das Demokratieprinzip gestattet die friedliche und geregelte Ablösbarkeit einer Regierung, die Gewaltenteilung verhindert die Monopolisierung von Herrschaft, die Menschenrechte bilden die Basis für die Artikulation von Kritik und die Vielfalt ermöglicht erst die Offenheit der Gesellschaft.

Dem gegenüber beklagen die unterschiedlichen extremistischen Kräfte unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung das Fehlen eines umfassenden Normengefüges zur verbindlichen Gestaltung des sozialen Lebens: Islamisten fehlt die klare Vorgabe in Richtung einer besonderen religiösen Orientierung, Linksextremisten sehen darin nur Ausdrucksformen einer formalen und leeren Demokratie, und Rechtsextremisten fordern die Ausrichtung der Politik an den angeblichen Werten der eigenen ethnischen Gruppe. In allen genannten Fällen sollen Bestandteile der jeweils eigenen Ideologie zum zentralen Kriterium für die verbindliche Gestaltung des sozialen Lebens gemacht und damit die Offenheit der Gesellschaft zur Disposition gestellt werden. Der damit verbundene Reiz derartiger Rufe nach absoluten und klaren Orientierungen und Vorgaben gerade in Phasen des Umbruchs darf nicht ignoriert werden, artikuliert sich darin doch das Bedürfnis nach einer Rückkehr in die scheinbare Geborgenheit einer antipluralistischen "geschlossenen Gesellschaft".(21)

Insofern bildet diese Einstellung des "Antiwestlertums" auch einen Gegensatz zur kulturellen Moderne, wofür der Politikwissenschaftler Thomas Meyer in Erweiterung des üblichen Verständnisses den Begriff "Fundamentalismus" nutzte. Für ihn handelt es sich dabei um den selbstverschuldeten "Ausgang von Menschen aus den Zumutungen des Selberdenkens, der Eigenverantwortung, der Begründungspflicht, der Unsicherheit und der Offenheit aller Geltungsansprüche, Herrschaftslegitimationen und Lebensformen, denen wir seit dem Anbruch der Moderne unumkehrbar ausgesetzt sind, in die vermeintliche Sicherheit und Geschlossenheit selbsterkorener absoluter Fundamente. Diese sollen willkürlicher jeder Infragestellung entzogen sein, damit sie ihren Anhängern absoluten Halt geben können."(22) Für Meyer sind generelle Offenheit und generalisierte Ungewissheit nicht nur Merkmale erkenntnisprüfender Diskurse, sondern auch der gesellschaftlichen Institution der Moderne(23), womit sie auch dem vorgetragenen Verständnis von "Westlertum" entsprechen.

4. "Antizionismus"

Abschließend zur Definition des letzten oben genannten Feindbildes, dem "Antizionismus". Auch hier bedarf es zunächst einer Definition des Abgelehnten: Während die Begriffe "Amerikanismus" und "Westlertum" hinsichtlich ihres Verständnisses in der Regel eher diffus sowohl in der öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion Verwendung finden, gibt es hinsichtlich des mit "Zionismus" Gemeinten zumindest für die Vergangenheit einen breiteren Konsens. Allgemein versteht man darunter eine Bewegung im Judentum, die sich die Rückkehr der Juden nach Palästina ("Land der Väter") mit dem politischen und religiösen Mittelpunkt Jerusalem ("Zion") zum Ziel gesetzt hatte.(24) Derartige Tendenzen kamen im Europa des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf den kursierenden Antisemitismus auf, sahen die Anhänger des Zionismus doch nicht mehr in der Assimilation und Integration in die Mehrheitsgesellschaft, sondern nur in dem Bestehen eines eigenen Staates die Möglichkeit für ein freies und sicheres Leben der Juden.

Trotz dieser grundlegenden Gemeinsamkeiten lässt sich nicht von einem einheitlichen Zionismus sprechen, gab es doch sowohl bezogen auf die Handlungsebene wie Theorie ganz unterschiedliche Ansätze: Kulturell ausgerichtete standen politisch orientierte Zionisten gegenüber, es gab sowohl politisch linke wie konservative Positionen. Darüber hinaus lassen sich unterschiedliche Zielsetzungen dieser nationalen Emanzipationsbewegung der Juden im Laufe der historischen Entwicklung unterscheiden, stand der Zionismus doch seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein nur für den Wunsch nach einer Heimstätte, danach für eine Rettungsbewegung für die von den Nationalsozialisten verfolgten Juden und ab 1948 für das inhaltliche Selbstverständnis des neu gegründeten Staates Israel. Nur mit Bezug auf den letztgenannten Aspekt lässt sich aktuell noch sinnvoll vom Zionismus sprechen, ist das ursprüngliche Ziel der damit verbundenen Bewegung doch durch die Staatsgründung erreicht worden.

"Antizionismus" meint demnach, so auch der Politikwissenschaftler Martin Kloke, die "grundsätzliche Leugnung des Rechts von Juden auf nationale Selbstbestimmung in Israel/Palästina."(25) Bewusst oder unbewusst läuft diese Position auf die Aufhebung einer gesicherten Zufluchtstätte für die Juden und eine damit verbundene Verfolgung hinaus. Als abgeschwächtere Variante des "Antizionismus" kann die pauschale Verdammung Israels als negativer Kraft gelten, welche nicht notwendigerweise mit der ohnehin unrealistisch erscheinenden Forderung nach Aufhebung der staatlichen Existenz verbunden sein muss. So wird der Staat der Juden als angeblich alleiniger Verantwortlicher für den Nahost-Konflikt verantwortlich gemacht, wobei häufig diffamierende historische Gleichsetzungen selbst mit dem deutschen Nationalsozialismus erfolgen. Aufgrund der in beiden Formen auszumachenden rigorosen Feindschaft gegenüber den Juden und dem Staat Israel steht hinter solchen Auffassungen vom "Antizionismus" mitunter auch ein latenter Antisemitismus.(26)

Aufgrund der besonderen historisch-politisch bedingten Sensibilität artikulierten sich derartige Stimmungen in der politischen Elite des Nachkriegsdeutschlands nicht, deuteten doch bereits die Anfang der 1950er Jahre erfolgenden Vereinbarungen über die Wiedergutmachungszahlungen die Bereitschaft zum freundschaftlichen Verhältnis gegenüber Israel an. Unabhängig von inneren Überzeugungen bestanden dazu auch politische Notwendigkeiten, zum einen sollte der Umgang mit den Juden die politische Lernfähigkeit der Deutschen unter Beweis stellen, zum anderen stand Israel in der Ära des Kalten Krieges auf Seiten der westlichen Demokratien.(27) Der sich herausbildende Rechtsextremismus nahm gegenüber dem Staat der Juden allerdings eine andere Position ein und propagierte weiterhin antisemitische Auffassungen, wobei dies angesichts des geänderten gesellschaftlichen Klimas in verdeckter Form erfolgte. Gerade die "antizionistische" Agitation mit ihrer pro-arabischen und anti-israelischen Kommentierung bot dazu Gelegenheit.(28)

In diesem thematischen Feld lassen sich auch ähnliche Positionen auf Seiten der extremistischen Linken ausmachen.(29) Bestand dort noch bis in die Mitte der 1960er Jahre eine pro-israelische Mehrheitsposition, so erfolgte danach ein grundlegender Wandel hin zu einer pro-palästinensischen und anti-israelischen Auffassung.(30) In den 1970er Jahren fanden sich in den einschlägigen Veröffentlichungen sogar kaum verhüllte Anklänge an antisemitische Diskurse, etwa wenn von "zionistischen Multimillionären" oder einem "parasitären Charakter" die Rede war. Deutlich sprach man von einer "blutrünstigen und machtgierigen Bastion gegen die Völker" und forderte offen die "Zerschlagung des zionistischen Staates".(31) Später mäßigten sich solche Stimmen zwar verbal, gleichwohl blieben die damit verbundenen Grundpositionen bestehen. Dass hinter den scharfen "antizionistischen" Positionen der Israel-Kritik unter Linksextremisten auch antisemitische Auffassungen erkennbar sind, wird mittlerweile in diesem politischen Lager auch selbstkritisch thematisiert.(32)

Die größte Verbreitung fand der Antizionismus indessen im arabischen Raum bei den Gegnern des Staates Israel, wo im Unterschied zu den beiden vorgenannten politischen Bereichen auch ein realer Konflikt bestand und besteht. Gleichwohl kann bei vielen dort artikulierten "antizionistischen" Auffassungen über eine nachvollziehbare gegnerische Position zu Israel hinaus auch eine antisemitische(33) Dimension ausgemacht werden. Verfolgt man deren ideenhistorische Genese, so lässt sich eine Art Ideologieimport aus Europa feststellen.(34) Zwar wurden Juden in der islamisch geprägten Welt nicht ebenso wie die Muslime behandelt und mehr geduldet denn anerkannt, von einem entwickelten Judenhass im Sinne des Antisemitismus lässt sich allerdings bis in die 1930er Jahre nicht sprechen. Die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge aus Europa führte in jener Zeit allerdings zu Ängsten und Konflikten, die teilweise auch mit propagandistischer Unterstützung von örtlich aktiven NS-Einrichtungen in Antisemitismus umschlugen.

Die Agitation der arabischen Gegner des 1948 gegründeten Staates Israel knüpfte an diese ideologischen Vorgaben an und bezog sie inhaltlich auf die Situation im Nahen Ostens. Damit verbunden war nicht nur die Forderung nach Auflösung des Staates Israel und Vertreibung der Juden, sondern auch die Verteufelung der Israelis als Personengruppe. Zahlreiche aus dem europäischen Antisemitismus bekannte Stereotype wurden in der Agitation wieder aufgegriffen, wofür exemplarisch die Vorstellung von der "jüdischen Weltverschwörung" und die damit verbundene Verbreitung der gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" steht.(35) Selbst die Charta der islamistischen Hamas-Organisation nimmt darauf konkreten Bezug, womit eine deutlich antisemitische Orientierung hinter der "antizionistischen" Agitation erkennbar ist. Darüber hinaus veranschaulicht der Tatbestand, dass die von der Organisation ausgehenden Selbstmordanschläge sich primär nicht gegen israelische Militäreinrichtungen, sondern gegen Zivilisten richten, noch offenkundiger die antisemitische Ausrichtung.(36)

5. Schlusswort und Zusammenfassung

Betrachtet man sich bilanzierend die Ausführungen zu Definition und Genese von "Antiamerikanismus", "Antiwestlertum" und "Antizionismus", so muss zunächst noch einmal gesondert auf den Unterschied dieser Einstellungen zu bloßer Kritik an den USA, dem Westen und Israel hingewiesen werden: Zwar können sich die erstgenannten Auffassungen auch auf reale Sachverhalte beziehen oder "Doppel-Standards" kritisieren, entscheidend ist hier allerdings eine Einstellung, die den Kern des Gemeinten ablehnt. Er besteht in den Grundlagen des politischen Systems der USA, den Prinzipien der Offenheit und des Pluralismus von Gesellschaften oder im legitimen Existenz- und Verteidigungsrecht des Staates Israel. Zwischen einer damit verbundenen grundlegenden Ablehnung und einer überspitzten inhaltlichen Kritik gibt es deutliche Unterschiede, die insbesondere in dem bejahenden oder verneinenden Verhältnis zu den Wertvorstellungen eines modernen demokratischen Verfassungsstaates zum Ausdruck kommen.

Gerade diese bildet das zentrale Kriterium zur Unterscheidung, das allerdings auch nicht unbedingt in der konkreten Meinungsäußerung offen zum Ausdruck kommen muss. Hier bietet sich ein analytischer Blick auf die ideologischen Wurzeln der vorgetragenen Einwände gegen die USA, den Westen oder Israel an, können sie doch sowohl aus einer demokratischen wie extremistischen Einstellung heraus erfolgen. Je nach politischem Akteur und beabsichtigter Zielsetzung lassen sich in der Gesamtschau somit auch unterschiedliche Einschätzungen vornehmen. Ein weiteres wichtiges Analysekriterium bestünde darüber hinaus in der Antwort auf folgende zweiteilige Frage: Werden die Maßstäbe der Kritik (z.B. die Forderung nach Einhaltung von Menschenrechten durch Israel oder die USA) von den Protagonisten der Kritik im eigenen politischen Selbstverständnis (z.B. durch eine Akzeptanz der Menschenrechte) geteilt oder legt man an die Bewertung anderer Fälle (z.B. in ideologisch nahestehenden politischen Systemen) die gleichen Maßstäbe an?

Womit erklärt sich vor dem Hintergrund der besonderen Prägung der genannten Feindbilder die negative Fixierung auf die USA, den Westen und Israel? Anlässe und Gründe dafür mag es angesichts der Ansprüche und Folgen der durchgeführten Politik je nach Situation zur Genüge geben. Hier soll aber die Oberfläche der möglicherweise durchaus berechtigten Kritik zugunsten der Betrachtung des inhaltlichen Kerns pauschaler Zerrbilder durchdrungen werden: Dabei dürfte die Besonderheit der Staatengründung sowohl Israels wie der USA von Bedeutung sein, handelte es sich doch in beiden Fällen streng genommen nicht um historisch gewachsene, sondern um durch einen politischen Akt konstruierte Systeme. Beide setzten sich aus einer heterogenen Gruppe von Flüchtlingen zusammen, beide gingen aber auch rigoros gegen die jeweiligen ursprünglichen Bewohner vor. Der Kern der Ablehnung scheint aber nicht primär in diesem letztgenannten nachvollziehbaren Kritikpunkt, sondern in der Missbilligung des damit verbundenen Prozesses der Konstruktion zu bestehen.

Dies ergibt sich auch aus der gemeinsamen Stoßrichtung der drei Feindbilder gegen die kulturelle und politische Moderne, die sich über die Orientierung an Demokratie, Gewaltenteilung, Individualismus, Menschenrechten, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit definieren lässt. Darauf weist auch Dan Diner bezogen auf den "Antiamerikanismus" hin: "Bei aller Unterschiedlichkeit der Embleme und Metaphern des antiamerikanischen Ressentiments ist ein Element jedenfalls von durchgängiger Beständigkeit – das Element einer ambivalenten, vornehmlich aber feindseligen, durch Angst bestimmten Reaktion auf die Moderne." Und weiter: "Der universell beklagte Verlust vertrauter Lebenswelten und tradierter Gewissheiten kennt demnach nur die USA als Verursacher, jenen omnipräsenten Ort und Moloch der Moderne, der von lüsternen, welterobernden Begierden angetrieben wird."(37) Nicht die kritischen Hinweise auf die weltpolitischen Folgen der US-Dominanz, sondern die Pauschalität der Feinderklärung macht hier den Kern der Einstellung aus.

Ebenfalls Ausdruck einer Ablehnung der kulturellen und politischen Moderne ist die besondere Perspektive des "Antizionismus", der Ausdruck eines dualistischen Gut-Böse-Musters ist. Dabei wird in Anlehnung an die bereits erwähnte Ablehnung des Aktes der Konstruktion eine Gegenüberstellung von Israel als künstlichem Gebilde einerseits und des palästinensischen Volks als historisch gewachsener Einheit andererseits vorgenommen. Mit polemischer Überspitzung beschrieb der Politikwissenschaftlicher Thomas Haury die dabei zum Ausdruck kommende "antiimperialistische Weltanschauung" wie folgt: "Dieses abstrakte Böse schuf etwas Künstliches, ein ‚Gebilde‘ mit dem Namen ‚Israel‘. ... Dem abstrakten Bösen in Gestalt des Zionismus/Imperialismus tritt geschlossen das konkrete Gute entgegen: ein Volk! ... Israel dagegen darf kein Volk vorweisen, und die Juden sind daher auch gar kein richtiges Volk."(38) Haury sah in dieser Auffassung strukturelle Affinitäten mit dem antisemitischen Weltbild, woraus sich mitunter auch inhaltliche Affinität ergeben würden.(39)

Während die Ablehnung von Konstruktion und Moderne im politischen Bereich sowohl für den Islamismus wie für den Rechtsextremismus aufgrund deren ideologischen Prägungen offenkundig ist, stellen sich bezogen auf den Linksextremismus möglicherweise Zweifel ein. Hinsichtlich des politischen Selbstverständnisses meint man in diesem politischen Lager, der eigentliche Erbe der Aufklärung und wirkliche Vertreter der Moderne zu sein. Gerade der Blick auf die strukturellen Merkmale der in den beschriebenen Feindbildern zum Ausdruck kommenden ideologischen Prägungen erweist diese Einschätzung allerdings als rein formal: Die in der Dogmatisierung und Fanatisierung deutlich werdenden Elemente einer säkularen Heilslehre verweigern sich einer kritischen Prüfung durch Aufklärung und Infragestellung.(40) Darüber hinaus veranschaulicht die Sehnsucht nach der für die Zukunft angestrebten Utopie einer einheitlichen und idealen Gemeinschaft den romantischen Wunsch nach der Rückkehr einer "geschlossenen Gesellschaft" (Karl R. Popper)(41).

Die damit verbundenen Folgen der Aufhebung von Bestandteilen des demokratischen Verfassungsstaates verdeutlichen die langfristigen Gefahren einer Propagierung der genannten Feindbilder. Insofern bedarf es einer diesbezüglichen kritischen Aufmerksamkeit für Entwicklungen in öffentlichen Diskursen und der politischen Kultur, was aber nicht für eine Tabuisierung der Kritik an den USA, dem Westen oder Israel sprechen soll. Ganz im Gegenteil, immer dann wenn in den Kontexten von Handlungen in diesen Bereichen Verstöße gegen tragende Wertprinzipien demokratischer Verfassungsstaaten wie etwa den Menschenrechten auszumachen sind, verdienen sie eben um der Stärkung dieser willen klare und öffentliche Kritik. Dabei sollten aber immer auch die Ausgangspunkte und Kriterien deutlich gemacht werden, um für alle erkennbar die qualitativen Unterschiede zwischen "Antiamerikanismus" und Kritik an den USA, "Antiwestlertum" und Kritik am Westen, "Antizionismus" und Kritik an Israel zu veranschaulichen.


Anmerkungen:

(1) Die Hinweise wollen keineswegs einen Zusammenhang zwischen der Ausrichtung der US-Außenpolitik und den terroristischen Reaktionen abstreiten, welcher in der politikwissenschaftlichen Literatur als "Blowback"-Effekt bezeichnet wird, vgl. Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt. Wann endet das Amerikanische Jahrhundert?, München 2000.

(2) Vgl. Ernst Fraenkel, Demokratie und öffentliche Meinung (1963), in: Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien (1964), Frankfurt/M. 1991, S. 246-252.

(3) Vgl. John Rawls, Politischer Liberalismus (1993), Frankfurt/M. 1998, S. 219-265.

(4) Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Politischer Extremismus – was ist das überhaupt? Zur Definition von und Kritik an einem Begriff, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Bundesamt für Verfassungsschutz. 50 Jahre im Dienst der inneren Sicherheit, Köln 2000, S. 185-212.

(5) Vgl. Uwe Backes, Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten. Elemente einer normativen Rahmentheorie, Opladen 1989, S. 298-311.

(6) Vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), Berlin 1987, wo die Intensität der Unterscheidung von Freund und Feind zum zentralen Kriterium des Politischen gemacht und die Möglichkeit einer Regelung von Konflikten über Kompromiss und Konsens indirekt abgelehnt wird.

(7) Vgl. Jürgen Gebhardt, Amerikanismus – Politische Kultur und Zivilreligion in den USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49 vom 30. November 1990, S. 3-18; Martin Kilian, Die Genesis des Amerikanismus. Zum Verhältnis von amerikanischer Ideologie und amerikanischer Praxis 1630-1789, Frankfurt/M – New York 1979.

(8) Nach Abschluss des Manuskripts erschien: Christian Schwaabe, Antiamerikanismus. Wandlungen eines Feindbildes, München 2003. Die Arbeit nimmt an keiner Stelle eine Definition von Antiamerikanismus vor und beruht lediglich aus der Auswertung verschiedener Sekundärliteratur.

(9) Dan Diner, Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, München 2002. Der Autor versteht seine Arbeit allerdings selbst nur als polemisch gehaltenen historischen Essay ohne akademischen Anspruch, vgl. ebenda, S. 11.

(10) Ebenda, S. 24.

(11) Vgl. ebenda, S. 8.

(12) Günter Moltmann, Deutscher Anti-Amerikanismus heute und früher, in: Franz Otmar (Hrsg.), Vom Sinn der Geschichte, Stuttgart 1976, S. 85-105, hier S. 85.

(13) Vgl. Gesine Schwan, Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945, Baden-Baden 1999, S. 19, 62-66 und 68-70.

(14) Vgl. zur folgenden Darstellung ausführlicher Diner, Feindbild Amerika (Anm. 9), Moltmann, Deutscher Anti-Amerikanismus heute und früher (Anm. 12), Schwan, Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland (Anm. 13), S. 41-61.

(15) Vgl. Günter C. Behrmann, Geschichte und aktuelle Struktur des Antiamerikanismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29-30 vom 21. Juli 1984, S. 3-14; Werner Link, Demokratische Staatsordnung und außenpolitische Orientierung. Die Einstellung zu den USA als Problem der deutschen Politik im 20. Jahrhundert, in: Lothar Albertin/Werner Link (Hrsg.), Politische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Entwicklungslinien bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1981, S. 63-89; Gesine Schwan, Das deutsche Amerikabild seit der Weimarer Republik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26 vom 28. Juni 1986, S. 3-15.

(16) Richard Herzinger/Hannes Stein, Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler. Fundamentalismus, Antiamerikanismus und Neue Rechte, Reinbek 1995.

(17) Vgl. ebenda, S. 11f.

(18) Karl R. Popper, Woran glaubt der Westen? (1958), in: Karl R. Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, München 1984, S. 231-153, hier S. 238.

(19) Vgl. Hans Albert, Die Idee der kritischen Vernunft, in: Gerhard Szczesny (Hrsg.), Club Voltaire. Jahrbuch für kritische Aufklärung I, München 1963, S. 17-30.

(20) Vgl. Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft (1968), Tübingen 1991, S. 5-7.

(21) Vgl. Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. I: Der Zauber Platons (1945), München 1980, S. 266-268.

(22) Thomas Meyer, Fundamentalismus. Der Kampf gegen Aufklärung und Moderne, Dortmund 1995, S. 24.

(23) Vgl. Thomas Meyer, Fundamentalismus. Aufstand gegen die Moderne, Reinbek 1989, S. 32.

(24) Vgl. Walter Laqueur, Der Weg zum Staat Israel. Geschichte des Zionismus, Wien 1972; Hermann Meier-Cronemeyer, Zionismus. Von den Anfängen bis zum Staat Israel, Frankfurt/M. 1989.

(25) Martin W. Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, 2. Auflage, Frankfurt/M. 1994, S. 19.

(26) Dies muss allerdings nicht zwingend der Fall sein: Es kann einen antisemitischen "Antizionismus" ebenso geben wie einen nicht-antisemitischen "Antizionismus". Die erstgenannte Variante findet sich im Islamismus und Rechtsextremismus, die zweite Variante bei der Mehrheit der Linksextremisten. Eine problematische Gleichsetzung nimmt demgegenüber vor: Lothar Mertens, Antizionismus: Feindschaft gegen Israel als neue Form des Antisemitismus, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Antisemitismus in Deutschland. zur Aktualität eines Vorurteils, München 1995, S. 89-100, hier S. 89. Eine Feindschaft gegenüber dem Staat Israel muss allerdings nicht mit einer abwertenden Einstellung gegenüber allen Juden einher gehen. An dieser Stelle wäre auch daran zu erinnern, dass die Zionisten vor 1933 innerhalb des Judentums eine Minderheit darstellten. Darüber hinaus lehnen Teile des orthodoxen Judentums heute Israel als säkular begründeten Staat ab.

(27) Vgl. Benz (Hrsg.), Antisemitismus in Deutschland (Anm. 26); Werner Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989, Frankfurt/M. 1995.

(28) Eine Studie zum Israel- und Nahost-Diskurs des deutschen Nachkriegsrechtsextremismus und den damit verbundenen antisemitischen Hintergründen der "antizionistischen" Agitation fehlt bislang noch.

(29) Vgl. Thomas Haury, Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002, Leon Poliakov, Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg 1992.

(30) Vgl. Kloke, Israel und die deutsche Linke (Anm. 25).

(31) Vgl. Henryk M. Broder, Antizionismus – Antisemitismus von links?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24 vom 12. Juni 1976, S. 31-46; Thomas Haury, Der Antizionismus der Neuen Linken in der BRD. Sekundärer Antisemitismus nach Auschwitz, in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hrsg.), Antisemitismus – die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, Freiburg 2001, S. 217-229. Die Zitate entstammen diesem Aufsatz, vgl. ebenda S. 223 und 227.

(32) Vgl. Initiative Sozialistisches Forum, Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie, Freiburg 2002, Irit Neidhardt/Willi Bischof (Hrsg.), Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken, Münster 2000.

(33) Antisemitismus gilt als Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden geltenden Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund dieser Zugehörigkeit in diffamierender und diskriminierender Weise negative Eigenschaften unterstellen, um damit eine Abwertung, Benachteiligung, Verfolgung oder gar Vernichtung ideologisch zu rechtfertigen. Der Terminus spielt mit der Ablehnung der "Semiten" eigentlich auf eine ganze Sprachfamilie an, wozu auch die Araber gehören. Gleichwohl bezieht sich Antisemitismus nur auf die Feindschaft gegenüber Juden, insofern können auch Araber – obwohl selbst Semiten – in diesem Sinne auch Antisemiten sein. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Opladen 2002, S. 9-16.

(34) Vgl. Michael Kiefer, Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften. der Palästina-Konflikt und der Transfer eines Feindbildes, Düsseldorf 2002; Bernard Lewis, "Treibt sie ins Meer". Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt/M.-Berlin 1987.

(35) Vgl. Robert Wistrich, Der antisemitische Wahn. Von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel, Ismaning bei München 1987, S. 311-342; Stefan Wild, Die arabische Rezeption der "Protokolle der Weisen von Zion", in: Rainer Brunner u.a. (Hrsg.), Islamstudien ohne Ende. Festschrift für Werner Ende zum 65. Geburtstag, Würzburg 2002, S. 517-528.

(36) Vgl. Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg 2003, S. 107-112 und 118-122.

(37) Diner, Feindbild Amerika (Anm. 9), S. 8 und 17.

(38) Thomas Haury; Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus, in: Leon Poliakov, Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg 1992, S. 125-159, hier S. 142f.

(39) Beachtenswert an dem hier exemplarisch veranschaulichten Dualismus ist auch das Anlegen unterschiedlicher Maßstäbe, abstrahiert man doch von den antidemokratischen und nationalistischen Prägungen der Gegner Israels.

(40) Mit einem ähnlichen Argument verweigerte der Politikwissenschaftler Richard Löwenthal auch der Ende der 1960er Jahre aufgekommenen "Neuen Linken" den Anspruch auf Aufklärung und Rationalität: "Doch es gibt keine kritische Rationalität ohne Freiheit der Diskussion und ohne Toleranz. Es gibt keine kritische Rationalität ohne Bereitschaft zur Prüfung jeder einzelnen Sache, die behauptet wird; es gibt keine kritische Rationalität im Rahmen einer vorgegebenen, nicht mehr diskutierten Gesamtkonzeption.", Richard Löwenthal, Der romantische Rückfall, Stuttgart 1970, S. 34.

(41) Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (Anm. 21); vgl. Armin Pfahl-Traughber, Ideologische Strukturmerkmale der geschlossenen Gesellschaft. Karl R. Popper als Totalitarismustheoretiker, in: Aufklärung und Kritik, 10. Jg., Nr. 1/2003, S. 106-125.



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